Nussbeize und Kugelschreiber auf Papier, 47 x 31.5 cm
Spätestens seit der grossen Retrospektive von Robert Müller 1996 im Aargauer Kunsthaus gehört das Werk dieses Künstlers zu den Schwerpunkten unserer Sammlung. Wichtige frühere Ankäufe konnten im Lauf der Jahre aufs Schönste ergänzt werden. Mit einer grosszügigen Schenkung aus dem Nachlass wird nun die umfangreiche Werkgruppe abgerundet und das komplexe, zwischen Skulptur und Zeichnung pendelnde Schaffen von Robert Müller kann hier heute in seinem ganzen Reichtum vorgestellt werden.
Robert Müller ist im Herbst 2003 83-jährig in Villiers-le-Bel bei Paris gestorben – in seinem Haus, das er seit 1961 mit seiner Frau Miriam bewohnte, in dem er sich sein eigenes Reich geschaffen hat und in dem er nach der erfolgreichen Zeit als Eisenplastiker und „Ausstellungskünstler“ eine zweite, stillere und sehr zurückgezogene Lebensgeschichte lebte. Ein Leben, zwei Viten. Da ist zum einen die Geschichte des erfolgreichen Künstlers, der als 19-jähriger bereits zielstrebig in Zürich bei Charles Otto Bänninger und Germaine Richier Bildhauerei studiert, sich früh für die freie künstlerische Tätigkeit entscheidet und nach einem Studienaufenthalt in Italien 1949 in die pulsierende Kunstmetropole Paris übersiedelt, wo seine brillante internationale Karriere als Eisenbildhauer beginnt: Aus dieser sehr erfolgreichen Zeit besitzt das Aargauer Kunsthaus u.a. die Werke „Aaronstab“, „La veuve du coureur“ (Depositum der Bechtler-Stiftung) und neu das Mobile ohne Titel, das bis heute noch nie gezeigt wurde. Nach der ersten grossen Überblicksausstellung, die 1964–1965 in Amsterdam, Brüssel, Bern, Düsseldorf und Wien gezeigt wird, lässt sich in der Werkentwicklung von Robert Müller eine deutliche Wende festmachen. Die folgenden Skulpturen sind weit hermetischer. Mit diesen Werken irritiert Robert Müller die Kritik. Der Künstler zieht sich mehr und mehr zurück, als Bildhauer schafft er eine letzte dichte Werkgruppe von Sandstein- und Marmorskulpturen. 1978 gibt er die Bildhauerei zu Gunsten der Zeichnung und der Druckgraphik definitiv auf.
Ein Leben, zwei Viten. Die Kenntnis des zeichnerischen Schaffens von Robert Müller drängt noch eine andere Lesart der beiden Viten auf: Es gibt die Vita des Bildhauers, und es gibt die Vita des Zeichners. Die Rezeption ist bisher eindeutig: Robert Müller war ein Bildhauer, der auch gezeichnet hat, und er wurde zum Zeichner, der sich mit scheinbar wachsendem Interesse diesem Medium zuwandte und schliesslich die Skulpturen ganz aufgab. Dreh- und Angelpunkt dieser Darstellung ist die Werkentwicklung der späten 1960er-Jahre. Vielleicht sind es aber gerade die Zeichnungen von Robert Müller, die eine Verbindung der beiden Viten schaffen und das künstlerische Werk vereinen. Robert Müller hat der Zeichnung stets grosse Bedeutung zugemessen. In keinem Moment sind sie Beiwerk oder blosse Vorbereitung des plastischen Schaffens. Von Anfang an steckt in ihnen das ganze Potential. In ihnen ist jedes Thema vorgeprägt und wird auch zur Vollendung getrieben. Hier findet sich die Unmittelbarkeit der Handschrift ebenso wie ein ausgeprägter Formwille. Und die Lust am Experiment steht neben der meisterhaften Beherrschung der Techniken. Robert Müller setzt einerseits hermetische Zeichen, und er schildert anderseits in dichten Kompositionen und Bildfolgen facettenreich seine Geschichten und offenbart sein Gesicht. In den Zeichnungen steckt alles. Sie sind offener als manche Skulpturen, vielleicht auch zeitloser. Robert Müller ist hier gelungen, was er immer wollte: der Kunstgeschichte zu entwischen und die Historisierung der eigenen Arbeit aufzuheben. So ist es möglich, Verbindungen quer über die verschiedenen Werkgruppen zu ziehen und vielfältige Beziehungen herzustellen. Gleichzeitig offenbart sich auch die Nähe zu einfachen, ursprünglichen und archaischen Ausdrucksweisen, die Robert Müller stets mehr bedeuteten als ein vom Leben abgekoppelter Kunstdiskurs.
Stephan Kunz