Dispersion auf Baumwolle, 250 x 160 cm
Seit den mittleren 1960er-Jahren, als er an einem Werk-Komplex zu arbeiten begann, der ihn als ebenso eigenwilligen wie eigenständigen Konzept-Künstler auswies, gehörte Aldo Walker (1938–2000) zu den Protagonisten der jungen Schweizer Kunst. Vorausgegangen war ein zwar im Atelier und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgeführter, dennoch aber demonstrativer Akt: 1963 und 1964 bearbeitete er seine zuvor entstandenen Malereien mit dem Schweissbrenner. Danach entsagt er der Malerei, es entstehen Objekt- und Textarbeiten, in denen die Handschrift des Künstlers keine Rolle mehr spielt, keine mehr spielen darf. Seine Objekte und Installationen zeugen von seiner Auseinandersetzung mit Sprachtheorien, aber auch mit der Theorie und Praxis des Märchens: Die „Bremer Stadtmusikanten“ erwähnte er immer wieder als Prototyp für ein Denken und für ein Bild, in dem Unkompatibles zueinander kommt. Gegen Mitte der 1980er-Jahre entwickelt er aus Zeichnungen wieder Bilder, zeichenhafte Bilder, die mit Malerei im Sinne von Peinture allerdings nichts zu tun haben: die auf den Leinwänden gezeichneten Linien fügen sich emotionslos zu Bildern und Bildkombinationen, die lesbar sind, die ihre Gegenstände umreissen und benennen, deren Kombination, deren Zusammenkommen aber das Publikum durchaus verstören konnte. Dabei ging es Walker mit seinen verwachsenen, „mutanten“ Figuren gerade nicht um die Vermittlung schrecklicher Inhalte, die Bilder waren ihm vielmehr Bild-Tafeln, die syntaktische und semantische Fragen aufwerfen und nicht auf eine inhaltliche Botschaft hin gelesen werden sollten.
Nachdem er 1970 einen wichtigen Beitrag zur Ausstellung „Visualisierte Denkprozesse“ im Kunstmuseum Luzern geleistet hatte, wurde sein Schaffen gut beachtet, mit zahlreichen Einzelausstellungen in der Schweiz und vielen Beteiligungen an Gruppenausstellungen im Ausland. 1986 war das erfolgreichste Jahr: Wir hatten ihn für den Herbst zu einer Retrospektive im Aargauer Kunsthaus eingeladen, im Sommer vertrat er davor die Schweiz an der Biennale in Venedig (zusammen mit John Armleder). 1987 wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Luzern ausgezeichnet. Während er in Venedig nur Werke zeigte, die für den Anlass entstanden waren, zeigten wir in unserer Ausstellung die Entwicklung über die Zeit seit den Schweissbrenner-Bildern, die zu diesen Werken geführt hatte: Während wir uns im Parterre auf die Konzepte und Installationen der späten 1960er und 1970er-Jahre konzentrierten (da es sich bei diesen zum Teil um temporäre, nur für bestimmte Ausstellungssituationen entstandene Beiträge gehandelt hatte, stellte Walker einige als Repliken wieder her), präsentierten wir im Untergeschoss die zeichenhaften Bilder, mit den weissen Linien auf schwarzem Grund, der 1980er-Jahre.
Es gelang uns damals, sowohl Werke aus den 1970er-Jahren wie den „Logotyp IX“ zu erwerben wie auch nicht mehr existierende Werke aus jener Zeit, die Walker für unsere Ausstellung wieder ausgeführt hatte. Ebenso erwarben wir damals das wohl grösstformatige, fünfteilige zeichenhafte Bild aus jener Zeit, „Das Tätowierten-Ballett“ von 1985. Nachdem Walker seit 1987 als Dozent und danach als Studienbereichsleiter für visuelle Gestaltung an der Höheren Schule für Gestaltung in Zürich wirkte (wohl aber auch, weil er die hektische und oberflächliche Betriebsamkeit in der Kunstszene sehr skeptisch beobachtete), stellte er sein eigenes Künstlerschaffen zurück. Erst 1988 nahm er die Tätigkeit als freischaffender Künstler wieder auf, in den beiden Jahren bis zu seinem frühen Tod Anfang 2000 entwickelte er das „Morphosyntaktische Objekt“, eine sechsteilige sehr grosse und überaus komplexe Arbeit, in der er selbst die Summe und den Kern seines ganzen Werkes erkannte. Es gelang uns, dieses letzte Hauptwerk zusammen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu erwerben; wir widmeten ihm eine eigene Publikation, die zur Wiedereröffnung des Hauses 2003 erschien.
Im vergangenen Jahr organisierte Roman Kurzmeyer für das Kunstmuseum Luzern die erste umfassende posthume Retrospektive des Künstlers. Bei dieser Gelegenheit konnten wir den „Ur-Logotyp“ von 1970/72 erwerben, der am Anfang der gleichnamigen Werkreihe steht, an der Walker bis 1976/78 arbeitete. Es handelt sich um das vielleicht einfachste Stück der Werkreihe, das auf ganz einfache, lapidare Weise die Selbst-Referentialität (hier explizit: die Selbst-Bespiegelung) der Kunst kommentiert. Gleichzeitig erwarben wir zwei Mittelformate von 1984 und 1985 aus jener zeichenhaften Werk-Reihe, die wir damals in unserer Ausstellung präsentiert hatten: Nachdem wir uns für diesen sperrigen Künstler, dessen Werk unser Nachdenken über Grundfragen der Kunst immer neu anregt und herausfordert, über zwei Jahrzehnte engagiert haben – von der programmatischen Retrospektive von 1986 bis zu den jüngsten Ankäufen – und sein Schaffen in unserer Sammlung mit einer umfassenden und gültigen Werkgruppe zeigen können, wurden wir von der Familie des Künstlers grosszügig mit einem Werk aus dem Nachlass beschenkt: Es handelt sich um ein grossformatiges Hauptwerk aus jener Werkgruppe von 1986, die Aldo Walker für die Biennale gemalt hatte.
Beat Wismer