Glas verspiegelt, geätzt, bemalt, sandgestrahlt; Clear-Shield auf Glas; Holz graviert, bemalt; Fotografie auf Leinwand auf Papier, 178 x 100 x 3 cm
Hugo Suter (1943–2013) gehört zu den experimentierfreudigsten Künstlern der Schweiz. Er erarbeitet sich ein stilles, unspektakuläres Œuvre, das durch seine Komplexität eine breite, internationale Rezeption erschwert und ihm die Rolle als „artist’s artist“, als Künstler für Künstler, zuweist. Paravent besteht aus verschiedenen Holzrahmen, die verspiegeltes, geätztes, bemaltes und sandgestrahltes Glas fassen – insgesamt 65 Teile. Die Schöpfung kann zu Recht als Schlüsselwerk bezeichnet werden, reflektiert es doch die wesentlichen Themen von Suters künstlerischem Schaffen und bildet ein zentrales Werk der jüngeren Schweizer Kunstgeschichte. Dank einer Schenkung des Künstlers anlässlich der Verleihung des Aargauer Kulturpreises gelangt „Paravent“ 2001 in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses.
Ab 1972 wohnt Suter in Seengen am Hallwilersee, der ihn zu diesem Werk inspiriert. Auf der Suche nach einem adäquaten Material, um die wechselnden Erscheinungen der Seefläche zu erfassen, startet er 1974 erste Versuche mit Glas: Es kommt seiner Intention vom flüchtigen Bild entgegen und avanciert zu einem der am meisten verwendeten sowie wichtigsten Materialien in seinem Œuvre. 1978 beginnt der Künstler die Arbeit mit fünf Fensterrahmen aus einem Abbruchhaus, die er mit Scharnieren verbindet und sie auf solche Weise zueinanderstellt, dass sie sich gegenseitig stützen. Die Idee, Bilder von der Wand zu nehmen und sie in den Raum zu stellen, bildet den Anfang des „Paravents“, dessen verschiedentlich bearbeitete und gestaltete Gläser als Bildträger dienen. Somit handelt es sich bei „Paravent“ einerseits um Skulptur, andererseits um Malerei. Stetig erschafft er weitere gerahmte Gläser, die der Künstler anfänglich ausschliesslich als eine Art Tagebuch versteht und bis 2002 kontinuierlich erweitert. Lineare Lesbarkeit oder eine in sich geschlossene Gesamtkomposition sind nicht Ziel der künstlerischen Arbeit.
1982 bildet „Paravent“ das Herzstück der Ausstellung Suters im Aargauer Kunsthaus. Die Aufstellung ist nicht festgelegt und soll keiner Komposition, chronologischen Ordnung oder geometrischen Form gehorchen. Einzig die Standfestigkeit der Fensterrahmen gilt es sicherzustellen und die von der Situation des Raumes, seiner Grösse, seinen Lichtverhältnissen vorgegebenen Parameter zu beachten. Durch die zaunartige Präsentation drängt sich der Eindruck eines Leporellos auf – eine Assoziation, die auf die anfängliche Funktion des „Paravents“ als Tagebuch hindeutet: Mit unterschiedlichen Techniken notiert Suter Einträge ins Glas. Später betrachtet der Künstler die Scheiben als Testflächen für Erkundungen im Zusammenhang mit architektonischen Fragen.
Das Glas als Bildträger ermöglicht eine traditionelle Darstellungsweise und gleichzeitig durch seine spezifische Beschaffenheit unerwartete Durchblicke sowie Überlagerungen. Die aufgestellten Rahmen bilden Schichten von verschiedenen Ebenen, und der Betrachtende ist eingeladen, einen Spaziergang durch verschiedene Bildniveaus zu machen, die je nach Standort wechseln. Dabei eröffnen sich eigene Vorstellungswelten und Dialoge mit der Umwelt; der Teilnehmende wird zum Mitproduzenten. Suter beschäftigt sich in seinem künstlerischen Wirken mit der Erscheinungswelt, deren Wahrnehmung und Neuerschaffung im Bild. Folglich verbindet er künstlerische Gestaltung mit der wissenschaftlichen Forschung und ermöglicht den Betrachtenden, ihr Wissen über das Sehen zu erweitern.
Karoliina Elmer