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Peter Fischli David Weiss, Ratte und Bär, 1981
Tonobjekte (Ratte und Bär als Salz- und Pfefferstreuer), gebrannt und glasiert / clay scultpures (rat and bear as salt and pepper shaker), fired and glased, 15 x 8 x 8 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Sammlung Andreas Züst
Copyright: Courtesy the artists & Galerie Eva Presenhuber, Zurich

Sie scheinen auf den ersten Blick unscheinbar, ja fast banal, diese beiden kleinen Tonfiguren in Schwarzweiss. In simpler Machart von Hand modelliert und bemalt ohne jegliche Perfektionsansprüche, haftet diesen beiden Tiergestalten gleichzeitig ein hintergründiger Humor an, der auf eine originelle Entstehungsgeschichte schliessen lässt. Kennern des umfangreichen Schaffens von Peter Fischli (*1952) und David Weiss (1946–2012) sind Ratte und Bär vermutlich schon an der einen oder anderen Stelle begegnet. Sie entstehen ganz zu Beginn der Zusammenarbeit des Duos Anfang der 1980er-Jahre und tauchen nach rund zwei Jahrzehnten in unterschiedlicher Form wieder in dessen Œuvre auf. Für ihren Erstlingsfilm „Der geringste Widerstand“ (1980/81) schlüpfen die beiden Künstler in Tierkostüme – Fischli als Ratte, Weiss als Bär –, dekonstruieren damit auf selbstironische Weise ihren Status als Künstler und setzen dem selbstreferenziellen, mitunter auch narzisstischen Tenor der Perfomance- und Videokunst der 1970er-Jahre ein trivialisiertes Künstlerbild entgegen.

Im Film begeben sich die beiden Tierfiguren in detektivischer Manier auf eine abenteuerliche Reise durch Los Angeles, sinnieren über Kunst, Glück und finanziellen Erfolg, bevor sie schliesslich zu essenziellen Erkenntnissen gelangen, die sie mittels Diagrammen und Grafiken systematisch festhalten. Unter dem Titel „Ordnung und Reinlichkeit“ (1980/81) wird dieses Pamphlet anlässlich der Kinovorführung von „Der geringste Widerstand“ als Künstlerbuch herausgegeben. Zu dieser Gelegenheit entstehen auch Salz- und Pfefferstreuer in Form von Ratte und Bär in einer Auflage von zwanzig Exemplaren. Fischli / Weiss imitieren und parodieren damit die Strategie des Merchandising, die in der Unterhaltungsindustrie gängig ist. Zum ersten Mal verwenden die Künstler hier das seinerzeit tabuisierte, als „unkünstlerisch“ geltende Material Ton und legen damit den Grundstein für die kurz darauf begonnene und heute legendäre Werkgruppe „Plötzlich diese Übersicht“ (ab 1981), aus der sich mehrere Objekte in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses befinden.

Im 1982/83 entstandenen Fortsetzungsfilm „Der rechte Weg“ widmen sich Ratte und Bär in philosophischen Diskussionen erneut den grossen Fragen des Lebens, diesmal vor der Kulisse der Schweizer Alpen. Beide genannten Filme bedienen sich des cineastischen Topos des „Buddy-Films“. In diesem Genre treffen zwei Hauptcharaktere aufeinander, deren Verhältnis durch die gemeinsame Bewältigung einer Reihe von Abenteuern zunächst auf die Probe gestellt wird, letztendlich aber gefestigt daraus hervorgeht. Die Komik dieser Filme lebt typischerweise von der charakterlichen und optischen Gegensätzlichkeit der Protagonisten – als klassisches Beispiel seien hier Laurel und Hardy genannt. Dieses Prinzip machen sich Fischli / Weiss auch mit Ratte und Bär zu eigen: Da ist auf der einen Seite der Pandabär als seltenes, vom Aussterben bedrohtes Tier, das gemeinhin als niedlich, gutmütig und schwerfällig charakterisiert wird. Den Kontrast dazu bildet auf der anderen Seite die Ratte als abstossendes, sich in unwirtlichen Gefilden tummelndes Wesen, das aufgrund seiner Intelligenz und Anpassungsfähigkeit jedoch eine sichere Existenz geniesst. Bei Fischli / Weiss agieren Ratte und Bär – unter anderem durch die Aufhebung der Grössenunterschiede – hingegen als gleichberechtigtes, sich ergänzendes Duo, das sich in enger Zusammenarbeit den Widrigkeiten ihrer Unternehmungen stellt.

So gesehen erscheint es verlockend, die beiden Tierfiguren als Alter Egos der beiden Künstler zu lesen oder zumindest als Metapher für deren langjährige künstlerische Kollaboration, die auf einem stark dialogischen Grundprinzip beruht. Ratte und Bär markieren zeitlich und konzeptuell den Beginn einer bis zu Weiss’ Tod 2012 engen und fruchtbaren Zusammenarbeit, die dem Duo internationales Renommee verschaffte. In den beiden Tiercharakteren ist vieles davon angelegt, was das Gesamtœuvre kennzeichnet: die Reflexion sowohl alltäglicher wie auch philosophischer Fragen in parodistischer Form, die ironische Auseinandersetzung mit künstlerischen Paradigmen, die Hinterfragung eines stereotypen Künstlerbildes, die Verwendung von „nicht-künstlerischem“ Material sowie das Interesse an humoristischen Gegensätzen.

Raphaela Reinmann, 2018

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