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Dieter Roth Ingrid Wiener, Teppich Nr. 3, 1987 - 1993
Wolle gewoben, 250 x 240 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Franz Wassmer
Copyright: Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth

Dieter Roth (1930–1998) war einer der wenigen Universalkünstler der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Er war Grafiker, hat Möbel entworfen, gemalt, gezeichnet, Plastiken und raumgreifende Installationen geschaffen, mit allen möglichen und unmöglichen Materialien gearbeitet, er war als Dichter und Musiker tätig, hat Künstlerbücher gemacht und verlegt, gefilmt, fotografiert, gesammelt usw. usf. Obwohl schon Heiny Widmer, von 1971–1984 Konservator am Aargauer Kunsthaus, Kontakte zu Dieter Roth knüpfte, eine Ausstellung mit ihm und Richard Hamilton (1922–2011) zeigte und einige Zeichnungen und Grafiken erworben hat, blieb dieser wichtige Künstler in der Aargauischen Kunstsammlung lange weit untervertreten. 1998 gelang es, mit zusätzlichen Mitteln der Gottfried-Keller-Stiftung und einer privaten Spende das Schlüsselwerk „Angefangenes Bild“ von 1977 zu erwerben. Dazu kam 2004 das umfangreiche Depositum der Sammlung Andreas Züst mit wichtigen Werken des Künstlers und schliesslich 2006 als Schenkung aus Privatbesitz der „Teppich Nr. 3“, ein Gemeinschaftswerk von Dieter Roth und Ingrid Wiener (*1942), mit allen Skizzen, Korrespondenzen, Quittungen und Belegen, aber auch Film- und Tonbandaufzeichnungen, die während der Arbeit gemacht wurden, sowie drei Tagebüchern, in welchen die verschiedenen Zustände der Arbeit festgehalten und der ganze Prozess dokumentiert ist, der sich über sechs Jahre hinzog. Das alles ist integraler Bestandteil des Werkes. Darin wird deutlich, was Dieter Roth stets anstrebte: das ausufernde, alles verbindende und verwebende Lebenswerk, welches das einzelne, in sich abgeschlossene Bildwerk hinter sich lässt.

Insgesamt vier Teppiche hat Dieter Roth zusammen mit Ingrid Wiener (zum Teil auch mit Valie Export (*1940)) gemacht. Angefangen hat alles mit der Anfrage an ihn, ob er eine Vorlage für einen Teppich liefern würde. Er schickte daraufhin eine von ihm gebrauchte Serviette aus dem Londoner Restaurant Bertorelli – eine besondere Herausforderung für die Web-Künstlerinnen, die diese Vorlage adäquat umsetzen sollten. Vielleicht war es Rache, dass sie daraufhin Roth baten, für einen zweiten Teppich hinter dem Webrahmen gleich selbst Modell zu sitzen, um ihn quasi live zu weben – eine für den rastlosen Roth wohl nicht ganz leichte Aufgabe. Um einen konventionellen Künstlerteppich konnte und sollte es also weder im einen noch im anderen Fall gehen – das Medium wurde soweit wie möglich strapaziert. Der „Teppich Nr. 3“ – unser Teppich – ist wegen den vielen Reisen der Künstler als Quilt angelegt und schachbrettartig zusammengesetzt. Abwechselnd entstand je eine Vorlage von Dieter Roth und von Ingrid Wiener. Objekte und Landschaftsbilder erscheinen hier tagebuchartig: alltägliche, unspektakuläre Motive wie man sie im privaten Umfeld oder vor der eigenen Haustüre findet: ein paar Schuhe, ein Blumentopf, eine Kaffeekanne, ein Ausblick aus dem Fenster, eine Baustelle. Dazu kommen Elemente, die darauf hinweisen, dass im Teppich selbst bereits dessen Entstehungsgeschichte reflektiert wird, z.B. wenn eine Kaufquittung erscheint oder wenn deutlich wird, dass nicht bestimmte Motive, sondern Skizzen mit handschriftlichen Notizen Vorlagen für die einzelnen Bildfelder abgeben. So empfahl Dieter Roth Ingrid Wiener auch, die Ermüdungserscheinungen während des Webens sichtbar zu machen. Alle Spuren, alle Lebensspuren sollten mit ins Werk fliessen. Der Teppich wird damit zum Lebensteppich und erfüllt Dieter Roths künstlerischen Anspruch, Leben und Werk als untrennbare Einheit zu fassen, aufs Schönste.

Stephan Kunz

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