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Tusche (Feder) laviert auf Papier, 27 x 21.5 cm
Johannes Robert Schürchs (1895–1941) Kunst ist geprägt von einer berührenden Auseinandersetzung mit der Verletzlichkeit der menschlichen Existenz. Getrieben von den unausweichlichen Erfahrungen des Menschseins schuf der in Aarau geborene Künstler in teils obsessiven Schaffensphasen eine schier unüberblickbare Fülle an Werken, das Meiste davon Arbeiten auf Papier. Zum Höhepunkt zählen die lavierten Tuschzeichnungen und expressiven Aquarellen der 1920er und frühen 1930er Jahren. Sie sind im weitgehenden Rückzug von der Gesellschaft entstanden, als Schürch zusammen mit seiner Mutter in einem abgelegenen Waldhaus in Monti Locarno wohnte und arbeitete.
1923 schrieb Schürch seinem Jugendfreund und späteren Kunstkritiker Walter Kern (1898–1966): «(…) das ist der wahre erwachte Mensch, der durch den Tod bewusst geht.» Die Reflexion über den Tod als «unser aller Weg» und das Wissen um die eigene Endlichkeit prägten Schürchs Leben und Schaffen. Der Tod als Motivkreis ist in seinem Werk fast allgegenwärtig und tritt variantenreich in Erscheinung: mal als menschenverschlingender Totenkopf, mal als musizierendes Skelett oder, wie in der vorliegenden Tuschzeichnung «Totentanz 3», als subtile Kraft hinter der Schönheit. Das Werk gehört zu einer Serie von insgesamt vier Totentanz-Zeichnungen, in denen Schürch das klassische Sujet variiert und sich wie in «Totentanz 3» (1924/25) einem tradierten Vergänglichkeitsmotiv bedient: einer nackten Frau, die sich im Spiegel betrachtet. Das spiegeln des Antlitzes soll daran erinnern, dass auch die Schönheit endlich ist und gemahnt, sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst zu werden. Denn der Tod lauert stets im Rücken, hier mit bereits ausgebreitetem Umhang. Skizzenhaft erscheint der Knochenmann in doppelter Gestalt. Die dadurch suggerierte Bewegung kreiert einen tänzerischen Reigen zwischen Sinnesfreude und Todesahnung – wenn die Kostbarkeit des Lebens von der Vergänglichkeit zehrt. Der Bildraum ist nicht klar verortbar, sondern mit dem Spiegel und dem Stuhl nur angedeutet, was der Szene eine erstaunliche Leichtigkeit verleiht. Stilistisch sind in «Totentanz 3» die Kennzeichen von Schürchs persönlicher Bildsprache bereits angelegt, die er im Verlauf der 1920er Jahren entwickelte: der spannungsvolle Wechsel zwischen spontaner, filigraner Federzeichnung und mit dem Pinsel dünn aufgetragener Tuschflächen sowie die grosszügige Aussparung des Bildgrunds.
Schonungslos und einfühlsam übersetzte Schürch existentielle und universelle Themen wie Tod, Trauer und Leid aufs Papier. Die Beschäftigung damit schöpfte sich zum einen aus seiner eigenen Biografie – mit nur 12 Jahren verlor er seinen Vater und seine Geschwister –, zum anderen hat Schürch wie ein Seismograph die düstere Stimmung seiner Zeit wahrgenommen, die er «in allen Knochen» spürte. Mit den Todesdarstellungen als einem Hauptmotiv seines Schaffens steht sein Œuvre nicht zuletzt in der künstlerischen Tradition der Zwischenkriegszeit.
Als Schürch nur 46-jährig in Ascona starb, hinterliess er ein stilistisch äusserst diverses und beeindruckendes Œuvre von über 7000 Werken. Er zählt heute zu den herausragenden Zeichnern der frühen Moderne in der Schweiz und bildet mit fast 60 Arbeiten einen Schwerpunkt in der Sammlung auf Papier des Aargauer Kunsthauses.
Nicole Rampa, 2024