Holz, Metall, Monitore, Kataloge, Stoffhüte, Postkarten, Variabel
Christian Philipp Müller (*1957), zweifacher Documenta-Teilnehmer und Lehrstuhlinhaber an renommierten Adressen wie der Cooper Union in New York und den Kunsthochschulen von Kassel und Nürnberg, sieht und bereist die Welt nicht wie ein Durchschnittstourist. Kritisch jeder Form von System gegenüber, setzt er mit seiner Werkpraxis dort an, wo Feldforschung – das konkrete, exemplarische Fallbeispiel – Einblick in die Funktionsweise eines grösseren Ganzen ergibt. Komplex und datenreich im Ansatz, analytisch im Befund.
Diesen Prämissen folgt auch die multimediale Arbeit „Tour de Suisse“, die im Sommer 1994 mit viel Denkarbeit und einer filmischen Reise quer durch die Schweiz begann. Ziel des Projekts, das mit den Topoi Landschaft und Grand Tour ebenso spielt wie mit der Sport- und Tourismusgeschichte des Landes, war es, einen Überblick über das hiesige institutionelle Kunstgeschehen zu gewinnen. Begleitet von Michel Ritter, dem umtriebigen Gründer des Centre Fri Art in Fribourg, gab Müller den Kunstbeflissenen und besuchte in 11 Tagen 60 Museen, die mindestens einmal pro Jahr zeitgenössische Kunst präsentierten und dafür öffentliche Gelder erhielten. Im Vorfeld versandte standardisierte Fragebögen lieferten Einblick in deren Programmierung, Sammlungspolitik und Finanzierung und bildeten das Gegenstück zu einem zweiten, offener angelegten Teilprojekt, bei dem Müller vor laufender Kamera Interviews mit den Verantwortlichen von 24 Häusern führte. Im Centre Fri Art kartografierte Müller die Ergebnisse im Herbst 1994 dann erstmals in einer begehbaren Seenlandschaft, die den Status der Gegenwartskunst anhand der Kataloge der jeweiligen Institutionen visualisierte: ein eigentliches Mapping der Kunstszene Schweiz. Ein „Kino“ für die „Reisedoku“ („Sketch for a Road Movie“, 1994), Wandboxen für die Fragebögen und eine Werkstation für die Videointerviews ergänzten das Display. Zudem war im Vorraum ein Hutregal mit 49 Stoffhüten plaziert, wie Touristen sie einst trugen („Rollenspiel“, 1994). Zweisprachige Aufdrucke in Deutsch und Französisch wiesen den Besuchern Positionen zu und forderten dazu auf, über jene der anderen Hauptakteure im Kunstsystem – Künstler, Kritiker, Betrachter, Vermittler, Förderer, Sammler und Händler – nachzudenken.
In der Folge wurden die Materialien im Swiss Institute in New York (1994), im Kunstraum der Universität Lüneburg („Touring Club“, 1994), in Môtiers (1995) und an der Art Basel („On Tour“, 1996) gezeigt, wobei die Werkform jedesmal änderte. Diesen Gedanken der Kontextverschiebung nahm Müller auch wieder auf, als er der Arbeit nach einer weiteren Teilpräsentation in Osaka (2001) zum 25-jährigen Jubiläum ihr jetziges Aussehen gab. Hinzugekommen ist zum einen der zwischen funktionalistisch uminterpretierter Minimal Art, mobiler Agitprop-Einheit und Verpflegungsstand oszillierende Holzkiosk, zum andern eine knappe Dokumentation zur Werkgeschichte in Form von Geschenkpostkarten und Katalogen: „Souvenirs“ an Müllers langen, weiten Weg im Einsatz für die Kunst und Belege für seine soziokulturelle Weit- und Tiefsicht.
Astrid Näff