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Daniel Spoerri, Variations d'un petit déjeuner, 1966
Assemblage: Keramik, Tabak, Papier, Streichhölzer, Zucker, Brot, Aluminium, Plastik, 44.7 x 70.7 x 14.8 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: ProLitteris, Zürich

In Paris wird im Jahr 1960 die Künstlergruppe Nouveaux Réalistes gegründet. Die programmatische Bewegung zählt neben Yves Klein (1928–1962) oder Arman (1928–2005) auch Daniel Spoerri (*1930) als Gründungsmitglied. Als Vereinigung will die Gruppe junger Kunstschaffender und -kritiker auf die sich abzeichnende Konsumkultur und deren Folgen reagieren. Eine Prämisse des gemeinsam verfassten Manifests sieht vor, die „Realität selbst als Gestalterin zu betrachten und sich als Gruppe von der abstrakten Kunst des Informel abzusetzen“. In Anlehnung an das Readymade oder die Spielformen von Dada sollen die Werke der Kunstschaffenden auf vielfältige Weise auf die gegenständliche Welt und die Industriegesellschaft Bezug nehmen. Plakatabrisse, Abfallmaterialien oder Gebrauchsgegenstände – allesamt Aspekte und Materialien der Warenwelt und Alltagskultur – binden die Künstler des Nouveau Réalisme in ihre Werke ein. Daniel Spoerri setzt die Forderung der Nouveaux Réalistes radikal um. Er will Kunstwerke schaffen, welche „möglichst ohne Eingriff des Künstlers zu entstehen haben“. Plötzlich beendet der Künstler deshalb im Jahr 1960 ein Abendessen und belässt das Durcheinander der benutzten Gläser und Teller mit Essensresten genauso auf dem Tisch und verkündet: “Die Falle schnappt zu! Niemand darf mehr die Gabel oder das Glas verrücken“. Das Werk „Variations d’un petit déjeuner“ (1966) aus dem Aargauer Kunsthaus ist ein solches Beispiel: Was der Künstler nach einem ausschweifenden Essen mit Freunden auf dem Tisch vorfindet, erklärt er mit seiner Signatur zum Kunstwerk. Die Gegenstände werden dafür direkt auf dem Tisch fixiert, von der Horizontalen in die Vertikale gedreht und schliesslich an die Wand gehängt. Diesen sogenannten „Fallenbilder“ oder „Tableaux-pièges“ verdankt der Künstler seinen internationalen Ruhm. Spoerri geht etwas später, wohl auch beim Werk im Aargauer Kunsthaus, dazu über, seine Fallenbilder auch zu inszenieren und bezeichnet sie konsequenterweise als „falsches Fallenbild“.

Geboren wird Spoerri 1930 im rumänischen Galati als Daniel Isaac Feinstein. Sein jüdischer, zum Protestantismus konvertierter Vater ist Missionar und wird 1941 von rumänischen Faschisten umgebracht. Die Mutter flieht mit sechs Kindern in ihre schweizerische Heimat. Dort adoptiert ihn sein Onkel mütterlicherseits. Von nun an heisst er Daniel Spoerri. In Zürich und später in Paris studiert Spoerri von 1949 bis 1954 klassischen Tanz und Pantomime. Nach seiner Rückkehr wird er am Stadttheater Bern als Solotänzer engagiert, wo er Avantgardestücke von Eugène Ionesco (1909–1994), Pablo Picasso (1881–1973) und Jean Tardieu (1903–1995) inszeniert. In dieser Zeit befreundet sich Spoerri mit den Künstlern Dieter Roth (1930–1998), Claus Bremer (1924–1996) und Meret Oppenheim (1913–1985). 1956 wendet er sich allmählich vom Tanz ab. Er arbeitet nun insbesondere als Verleger, Objektkünstler, Filmemacher und Akademieprofessor. 1977 erhält Spoerri eine Professur an der Kölner Fachhochschule für Kunst und Design und unterrichtet von 1983 bis 1989 an der Kunstakademie in München. Danach widmet er sich wieder seinem eigenen Schaffen. 1990/91 beginnt Spoerri in Seggiano in Italien, mit der Arbeit am Skulpturengarten „Hic terminus haeret-Il, Giardino di Daniel Spoerri“, der 1997 offiziell eröffnet wird.

Bis heute interessiert sich Spoerri für Gegenstände, die ihren Gebrauchswert eingebüsst haben, da sie „Erinnerungen an die Vergangenheit transportieren“. Seit mitte der 1990er-Jahre entstehen Werkserien, die unter dem Oberbegriff „Le Cabinet Anatomique“ zusammengefasst werden: Das Abgebildete auf historischen Druckgrafiken tritt dabei in einen Dialog mit den darauf aufgeklebten Objekten. Spoerri inszeniert seine objects trouvés auf den Bildtafeln wie in einem Schaukasten. Das Experimentelle und das Spielen zwischen den Rezeptionsebenen interessiert den Künstler besonders.

Christian Herren

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