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Fiona Tan, Vox Populi Switzerland, 2010
Farbfotografien (254 individually framed colour photographs), Installation 300 x 800 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung der Freunde der Aargauischen Kunstsammlung
Copyright: Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London
Fotocredit: René Rötheli

Fiona Tan (*1966) hatte 2010 eine doppelte Präsenz im Aargauer Kunsthaus − durch ihre grosse Einzelschau „Rise and Fall“ und durch ihre Beteiligung an „Yesterday Will Be Better“. Anlässlich dieser Ausstellung produzierte das Kunsthaus mit ihr zusammen das Werk „Vox Populi Switzerland“, das durch einen Ankauf der Freunde der Aargauischen Kunstsammlung in unsere Sammlung gelangte. Das Konzept ist einfach erklärt: Die Künstlerin kopiert Bilder aus privaten Schweizer Fotoalben und fügt diese Aufnahmen zu einer neuen Bildergruppe zusammen, einer Assemblage von rund 250 gerahmten Abzügen.

„Vox Populi Switzerland“: die visuelle Stimme des Schweizer Volkes? Welches neue Bild entsteht, wenn Fiona Tan aus privaten Bildern von allen Ecken und Enden der Schweiz ein kollektives Fotoalbum des Landes entwirft? Eines ist sicher: Sobald die Bilder dem privaten Rahmen entzogen sind, bekommen sie eine andere Bedeutung. Was entsteht, ist eine private Öffentlichkeit oder eine öffentliche Privatheit. Als Fiona Tan 2010 vom Aargauer Kunsthaus eingeladen wurde, ein Schweizer „Vox Populi“ zu produzieren, kannte sie das Land kaum und gerade dieser Blick von aussen barg ein besonderes Potential in sich. Natürlich lässt sich fragen, was denn nun das spezifisch Schweizerische sei, das sich in den Alben manifestiere. Als erstes stellen wir fest, und dies erstaunt kaum, dass die Bergwelt als Landschaft und als Kulisse für unterschiedlichste Freizeitaktivitäten ein wichtiges Motiv ist. Etwas überraschender ist vielleicht, dass die Künstlerin in der Schweiz erstmals dem Thema der Fasnacht begegnet ist, einem sehr beliebten Sujet in den einheimischen Alben. Unbekannt war für sie auch das Motiv einer festlich gedeckten Tafel, die fotografiert und verewigt wird, bevor sich die Tischgesellschaft setzt und die sorgfältig arrangierten Gedecke nutzt und damit zerstört. Auch das Essen an sich ist ein wiederkehrendes Thema. In der helvetischen Variante sind es denn das Fondue und die vertrauten Hero-Konservendosen, die das Lokalkolorit ausmachen. Fiona Tan sucht bei ihrer Extraktion nicht das „exotische“ Sujet, sondern vielmehr das gute und besondere Bild. Und tatsächlich: Bei der Durchsicht von „Vox Populi Switzerland“ staunt man über die Einzigartigkeit der Bilder, über den kuriosen Charme einzelner Motive und die schlichte Schönheit gewisser Aufnahmen. Wir freuen uns an der Kraft des Unperfekten und an der Emotionalität des Blickes.

Fiona Tan geht es in ihrem Projekt nicht um die exzessiv und oft kaum reflektierte öffentliche Selbstdarstellung – man denke an Internetplattformen wie Facebook und YouTube – nein, ihr Thema ist ganz einfach der Mensch und dessen Repräsentation. Sie guckt nicht durchs Schlüsselloch, sondern zeigt uns, welche Aussagekraft der Blick, den unsere Nächsten zu einem bestimmten Zeitpunkt auf uns und wir auf unsere Lebenswelt hatten, für das Kollektiv annehmen kann. So gliedert sich „Vox Populi Switzerland“ auch selbstverständlich ins Schaffen der Holländischen Video- und Fotokünstlerin ein, in dem das Menschenbild ein zentrales Thema darstellt. Fiona Tan ist eine sensible und analytische Zeugin ihrer eigenen Zeit. Die Beschäftigung mit Geschichte und Erinnerung stellen prägende Elemente in ihrer Arbeit dar, wobei der Rückblick stets ein Schlüssel zum Jetzt ist.

Madeleine Schuppli

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