Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Richard Paul Lohse (1902–1988) gehört zu den Begründern der konstruktiv-konkreten Kunst im 20. Jahrhundert und bildet ab Mitte der 1930-Jahre gemeinsam mit Verena Loewensberg (1912–1986), Max Bill (1908–1994) und Camille Graeser (1892–1980) den Kern der Zürcher Konkreten, die einen Schwerpunkt in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses bilden. Ursprünglich zum Werbegrafiker ausgebildet, wendet sich Lohse als Autodidakt früh der Malerei zu. Nach einigen gegenständlichen Malversuchen gelangt er in Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus und der niederländischen Bewegung De Stijl zu einer geometrischen Bildsprache. Sie basiert auf komplexen theoretischen Überlegungen, die Lohse umfassend schriftlich reflektiert. Jedes Gemälde stellt ein Konzentrat aus verschiedenen miteinander agierenden Regeln dar, wobei jeglicher subjektive künstlerische Ausdruck vermieden wird. Erst durch die Anwendung bestimmter durch den Künstler vorgängig definierter Gesetzmässigkeiten sind neue Bildkonstruktionen möglich.
Schnell eliminiert Lohse Kreis- und Diagonalelemente aus seinem Formenrepertoire und reduziert seine malerischen Kompositionen auf die horizontale und vertikale Achse sowie eine spezifisch definierte Farbpalette. Mit dem Farbquadrat findet er zu einem Gestaltungsmittel, das den Wunsch nach Einheit von Form und Farbe verkörpert und beliebig als Baustein eingesetzt werden kann. Dabei kristallisieren sich zwei Bildformen heraus: Die sogenannten „seriellen Ordnungen“ bestehen aus chromatischen Reihen von sechs bis dreissig Schritten, die zyklisch als Farbketten verlaufen und theoretisch unendlich erweitert werden können. Bei den „modularen Ordnungen“ hingegen arrangiert Lohse die Bildelemente einzeln oder gruppenweise durch Farben an.
In den 1940er- und 1950er-Jahren entwächst daraus der Bildtypus aus neun Quadraten, den er in unzähligen Farbvariationen ausführt und zu dem das vorliegende Gemälde zählt. Die Datierung gibt Auskunft über den Entstehungszeitpunkt der ersten Farbstiftstudien des Werks sowie die spätere Umsetzung in Ölmalerei. Typisch für Lohse ist ein Teil der umgesetzten Bildidee bereits im Werktitel benannt: „Waagrechte Dominante mit rotem Quadrat“. Das quadratische Bildfeld ist in neun gleiche, ebenfalls quadratische Partien eingeteilt, wobei allein die Farbe als Mittel der visuellen Unterscheidung im Bild fungiert. Ohne sichtbaren Duktus aufgetragen, verfügen die Farbfelder über eine intensive Leuchtkraft. Ihre Anordnung wird hier primär durch die Logik der Komplementärkontraste diktiert: So stehen sich das grüne und das rote Quadrat gegenüber, ergänzt um blaue und gelbe Felder, die ihrerseits in einem komplementären Verhältnis zueinanderstehen. Das rot-gelbe Quadrat in der Bildmitte sowie die gelb-grünen Felder links und rechts unten entstehen durch Überblendung, also durch Vermischung jeweils zweier im Bild vorhandener Töne. Je nach Kolorit scheinen die einzelnen Quadrate von unterschiedlichem Format, so wirkt vor allem das dominante rote Quadrat grösser als die es umgebenden. Tatsächlich manifestiert sich im egalitären Prinzip der modularen Ordnung aus neun Quadraten eine ästhetische Maxime, die gleichzeitig ein politisches Programm darstellt. Die Werke sind nichthierarchisch organisiert; indem auf Raumfaktoren, bevorzugte Platzierungen sowie die Unterscheidung zwischen Figur und Grund verzichtet wird, sind alle Elemente im Bild unabhängig und gleichwertig. Lohse, der sich zeitlebens politisch engagiert, findet mit seinen Werken einen Weg, um das Prinzip der Demokratie zu visualisieren, und erweitert damit das kreative Schaffen um eine moralische Dimension.
Raphaela Reinmann