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Pierre Haubensak, Ohne Titel (Tetras 20), 1989
Öl mit Bienenwachs und Terpentinöl auf Leinwand, 190.1 x 140.2 x 4.2 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Hermann und Margrit Rupf-Stiftung
Copyright: Pierre Haubensak
Fotocredit: Rupf Stiftung

Pierre Haubensak (*1935) besucht die École des Beaux-Arts in Genf und die Kunstgewerbeschule in Basel. Während seiner Basler Zeit erlebt er die bahnbrechende Ausstellung zum abstrakten Expressionismus, in der Werke von Marc Rothko, Barnett Newman, Willem de Kooning, Franz Kline, Clyfford Still, Robert Motherwell und Sam Francis in der Kunsthalle Basel zu sehen sind. Im gleichen Jahr verlässt Haubensak die Schweiz und lebt zuerst in Paris und später in Ibiza. Dort setzt er sich mit Minimal Art auseinander und schafft die ersten Farbfeld-Gemälde (Color Field Painting) und Hard Edge-Kompositionen von geometrischen, abstrakten Motiven mit lasierendem Auftrag. 1969 zieht er nach New York und lernt die von Pop, Minimal und Concept Art beherrschte Kunstszene der 1970er-Jahre kennen. Die bis dahin für Haubensak typische, glatte Malweise in Acryl wird ab Mitte der 1970er-Jahren durch eine zeichnerische Handschrift in Öl ersetzt. Der technische und stilistische Wandel bildet den Auftakt einer neuen Phase seiner Malerei. Nach einem achtjährigen Aufenthalt in der Metropole kehrt er 1977 in die Schweiz zurück, wo er seither lebt und arbeitet.

Ein Hauptwerk seines künstlerischen Schaffens bildet die Werkgruppe der „Tetras“ aus den Jahren 1988/89, wozu auch das Gemälde „Ohne Titel (Tetras 20)“ gehört. Die Komposition ist geometrisch vorgegeben: Ein Linienkreuz teilt die Fläche in vier gleich grosse Bildfelder in Rosa, Dunkelrot, Anthrazit und Hellgrau. Die Rechtecke wechseln von Hell zu Dunkel und von Dunkel zu Hell, damit sich jeweils die beiden hellen bzw. dunklen Töne diagonal gegenüberstehen. Jedes Farbfeld besteht aus mehreren übereinander gemalten Schichten mit dickem und dünnflüssigem Farbauftrag. Die locker gestrichene Oberfläche gibt Durchblicke auf die unteren Malgründe frei. Im unteren rechten Farbfeld etwa scheinen grüne und gelbe Stellen durch das Hellgrau hindurch. Mit einer Mischung aus Öl, Terpentin und verflüssigtem Bienenwachs schafft Haubensak eine opake Farbhaut mit sichtbaren Pinsel- und Spachtelspuren.

Überwog zu Beginn seiner künstlerischen Arbeit der glatte, unpersönliche Farbauftrag, tritt das Kolorit in späteren Gemäldegruppen reicher und differenzierter auf. Durch die Schichten, die sich über Wochen oder Monate hinziehen können, arbeiten sich langsam Kopf und Hand des Künstlers in das subtile Gewebe ein. Der gestische Ausdruck wird immer sichtbarer und hinterlässt Spuren des schöpferischen Prozesses. Nichtdestotrotz ist der Ausdruck bei Haubensak stets einer strengen Selbstkontrolle unterworfen. Technisch präzis wird die Farbe bis an die äussersten Ränder geführt, ohne dass die nasse Farbe ins andere Feld rinnt. Haubensak füllt aber nicht einfach ausgegrenzte Flächenteile mit Farbe aus, sondern weitet sie ins Räumliche aus oder unterläuft sie mit zeichnerischen Strukturen. Jedes Rechteck schliesst eine eigene Dynamik und einen Eindruck von Tiefe mit ein, die wiederum auf die Spannung der anderen drei Felder reagiert und zu einem Ganzen führt: zu einer Vierheit oder einem aus vier Einheiten bestehenden Ganzen, wie die Bedeutung des griechischen Wortes Tetra erahnen lässt.

Dank der grosszügigen Schenkung der Hermann und Margrit Rupf-Stiftung fand das Gemälde „Ohne Titel (Tetras 20)“ zusammen mit anderen Werken von Pierre Haubensak, Hans Jörg Glattfelder, Claude Sandoz und Marcel Wyss Eingang in die Sammlung. Das hauseigene Konvolut an Haubensaks Werke aus der zweiten Hälfte der 1960er-Jahren wird mit dem besprochenen Werk aus einer späteren Phase qualitätsvoll ergänzt.

Anouchka Panchard, 2023

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