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Monica Studer Christoph van den Berg, Zimmer 203 (Teil des Projektes "Vue des Alpes"), 2002
Ink-Jet Print auf Fotopapier auf Aluminium, 219 x 148 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright

Mit seinen über zwei Metern Höhe lädt der Inkjetprint „Vue des Alpes. Zimmer 203“ dazu ein, einen vertrauten Moment realitätsnah nachzuvollziehen: das Betreten eines Hotelraums. Rasch sind die wichtigsten Elemente der Einrichtung erfasst: links an der Wand ein blauer Sessel, am Fenster ein Tisch mit einer leuchtend rot bespannten Tischlampe, rechts das hölzerne Fussteil des Bettes. Letzteres vermittelt zugleich eine Ahnung, wie weit sich der Raum nach rechts noch erstreckt und wie ökonomisch er folglich bemessen ist. Kompensiert wird das überschaubare Platzangebot durch die prächtige Aussicht. Wie es der Hotelname „Vue des Alpes“ verspricht, gibt die Fensterfront den Blick direkt auf ein Panorama schneebedeckter Berggipfel frei.

Die Ansicht ist Teil eines intermedialen Grossprojekts, mit dem sich das Basler Künstlerpaar Monica Studer (*1960) und Christoph van den Berg (*1962) seit der Präsentation der ersten Elemente im Jahr 2000 profiliert. Sein Kernstück ist ein fiktives Internet-Hotel in alpiner Umgebung, in das sich Erholungssuchende über die Website www.vuedesalpes.com einbuchen können, um dort einen virtuellen Kurzurlaub im Retrostil zu verbringen. Mit 3D Programmen haben die Künstler hierfür in monatelanger Arbeit die entsprechende Navigationsumgebung gestaltet: Zugangswege, Hotellobby, Fahrstuhl, neun verschieden möblierte Doppelzimmer, Lounge und Speisesaal, Aussichtsterrasse und natürlich die grandiose Berglandschaft, in die alles eingebettet ist. Per Mausklick lässt sich sowohl der Innen- als auch der Aussenraum als 360-Grad-Erlebnis aufrufen und je nach Jahreszeit und persönlichen Vorlieben bei verschiedensten Freizeitaktivitäten erkunden.

Viele dieser Szenen wurden von Monica Studer und Christoph van den Berg in der Folge weiterentwickelt. Einige wie „Zimmer 400“ oder ein Waldstück wurden zu real betretbaren Räumen, Dioramen und Installationen. Andere mündeten in mehrere Folgen von Digitalprints, so auch „Zimmer 203“. Dabei zeigte sich ein interessantes Phänomen. Während die Web Umgebungen und die Nachbauten im realen Raum ihre Konstruiertheit sofort preisgeben, stellt sich dieselbe Erkenntnis bei den Prints nur verzögert ein. Speziell die Landschaften wecken zunächst den trügerischen Eindruck, echt zu sein oder zumindest auf fotografischen Daten zu beruhen. Der Effekt ist selbst bei den Ausblicken aus den Innenräumen und ähnlich gerahmten Ausschnitten bemerkbar, was belegt, wie zäh sich die Auffassung vom Bild als Fenster sogar gegenüber den jüngsten Technologien noch immer hält. Dagegen gibt sich das Interieur selbst, für welches das Künstlerpaar aus Erinnerungen an die eigene Kindheit geschöpft hat, mit der 70er-Jahre-Tapete, dem Ballon Chair und weiteren Details wie der von Raymond Loewy für Rosenthal entworfenen 50er-Jahre-Vase schnell als Konglomerat von Zeitzitaten zu erkennen. Auch die seltsam fluchtende Perspektive stellt die Bildwirklichkeit trotz der Sorgfalt, die auf die Spiegelungen und Schattenwürfe verwendet wurde, rasch als errechnet bloss. Genau darin liegt für die Künstler ein wichtiger Antrieb. Ihr Medium reflektierend, fragen sie sich in Bezug auf die eingesetzten Tools, wie es kommt, dass das Bildergebnis es trotz des offensichtlichen Verzichts auf Naturalismus schafft, Authentizität zu erzeugen. Eine Antwort dürfte in der Wahl der Versatzstücke liegen, die trotz ihres Eklektizismus so getroffen wurde, dass sie die kollektive Erinnerung einer ganzen Generation zu reaktivieren vermag.

Astrid Näff, 2024

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