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Sasha Huber, The Firsts – James Baldwin (New York 1924 - 1987 Saint-Paul-de-Vence), 2023
Frottage, 76 x 51 cm
Aargauer Kunsthaus, Aarau
Fotocredit: ullmann photography (Timo Ullmann)

Die 1975 in Eglisau geborene Künstlerin Sasha Huber lebt und arbeitet seit 2002 in Helsinki, Finnland. Auf den Spuren ihres Grossvaters mütterlicherseits, der 1944 als autodidaktischer Künstler ein Kunstzentrum in Port-au-Prince (Haiti) mitbegründet hatte, verfolgt Huber ihren Weg als Grafikerin und später als Künstlerin. Nach einem Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Zürich absolviert sie einen Bachelor in Grafikdesign (1991-1996) und einen Master in Visual Culture an der Aalto Universität in Helsinki (2002-2006). Seither hat Huber ihr Werk in verschiedenen Einzelausstellungen in der Schweiz, vor allem aber auf internationaler Ebene präsentiert: im Kunstinstituut Melly in Rotterdam (2021), im Power Plant Contemporary Art Gallery in Toronto (2022), bei Autograph in London (2022) und in der Ferme-Asile in Sion (2024).

Die schweizerisch-haitianische Herkunft von Huber dient ihr als Ausgangspunkt für eine Arbeitsweise, die oft eine aktivistische Dimension beinhaltet. Ihre Kunst soll zu einer Dekolonisierung des Wissens, einer Wiedergutmachung der Geschichte und einem schrittweisen kollektiven Heilungsprozess führen. Mit Videos, Skulpturen, Fotografien, Performances, Zeichnungen und Installationen prangert sie die Gewalt an, die ein Teil ihrer Vorfahren durch die Verschleppung und Versklavung zwischen Afrika und Haiti erlitten haben. Seit 2004 greift Huber in ihren oft seriellen Arbeiten auf die Technik von Heftklammern zurück, die sie mit einer Tackerpistole zu Tausenden auf Holz- und Akustikboards heftet. Ursprünglich als Akt des Zurückschiessens gedacht («Shooting Back», 2004), nutzt sie das Tackern um die kolonialen Wunden symbolisch zu schliessen und den durch die Sklaverei entmenschlichten Personen ihre Würde zurückzugeben («Tailoring Freedom», 2021–2023).

Das Porträt «The Firsts – James Baldwin» zeigt den US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin (1924-1987). Das Werk ist eine Frottage mit Negativeffekt, die Huber mit weissem Stift auf schwarzem Papier auf der Vorlage eines anderen Originalwerks von ihr angefertigt hat. Diese Arbeit aus Heftklammern befindet sich auf dem Fensterladen eines Chalets in Leukerbad im Wallis – genau dort, wo sich Baldwin in den 1950er Jahren einige Monate aufgehalten hatte, um sein Romandebüt «Go Tell it on the Mountain» (1953) zu schreiben, das ihn später weltberühmt machen sollte. In diesem Schweizer Bergdorf empfingen ihn damals die Einwohnerinnen und Einwohner mit «Staunen, Neugier, Belustigung oder auch Empörung». Wie von Baldwin selbst beschrieben, wurde er als «lebendes Wunder» begrüsst oder als «N*» bezeichnet. Durch die Reaktionen der Einheimischen wurde ihm bewusst, dass Schwarze Personen von einigen immer noch zu Unrecht als «Entdeckungen» behandelt wurden. Dieser Umgang machte den afroamerikanischen und homosexuellen Intellektuellen zum «Fremden». Diese Erfahrung verarbeitete er in seinem Essay «Stranger in the Village» (1953), in dem er den erlebten Alltagsrassismus analysierte. Um die Machtverhältnisse zu verstehen, die dem Rassismus zugrunde liegen, untersuchte Baldwin etwa die Situation, indem er die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrte. Er schrieb: «Doch es besteht ein grosser Unterschied zwischen dem ersten Weissen, der von Afrikanern gesehen wird, und dem ersten Schwarzen, der von Weissen gesehen wird. Der Weisse begreift das Staunen als Ehrerbietung, denn er ist gekommen, die Einheimischen, deren Minderwertigkeit ihm gegenüber ausser Frage steht, zu erobern und zu bekehren.»

Diese Frottage von Sasha Huber wurde 2023 als Edition speziell für die Ausstellung «Stranger in the Village: Rassismus im Spiegel von James Baldwin» produziert. Sie ist Teil der Serie «The Firsts», die Huber 2017 begonnen hat. Mit diesem Titel bezeichnet die Künstlerin die «ersten» Schwarzen Menschen, die manchmal buchstäblich, aber vor allem auch symbolisch Wege geebnet haben.

Céline Eidenbenz, 2025

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