1-Kanal-Video, Farbe, Ton, 08' 00''
Begleitet von metallischem Scheppern nimmt uns die Videoarbeit «Handlauf Umbau Aargauer Kunsthaus» von Christoph Rütimann (*1955) mit auf eine rasante Tour durch eine Baustelle. Die Kamera folgt einem Geländer, durchbricht scheinbar eine Wand um ihren Weg unvermittelt auf einer Stützmauer oder einem Balken fortzusetzten. So geht es ohne Unterbruch weiter: Ist das Ende eines Gegenstandes erreicht, überwindet die Kamera diesen mühelos und setzt die Fahrt fort. In den rasch wechselnden Videosequenzen sind dabei abwechselnd Gerüste, unverputzte Wände oder Kabelkanäle zu sehen.
Ort des Geschehens ist die Grossbaustelle in Aarau, eingebettet zwischen Regierungsgebäude, Kantonsbibliothek und Kunsthaus. Seit 2001 wird das 1959 erbaute Museum saniert und durch einen Erweiterungsbau ergänzt. Von dem markanten Glaspavillon der Architekten Herzog & de Meuron, der sich ab 2003 nahtlos an den Altbau schmiegen wird, ist im Sommer 2002 noch wenig zu sehen. Die bedeutende Sammlung an Kunst aus der Schweiz ist zwischenzeitlich in die Dependance nach Schönenwerd umgezogen. Die ehemaligen Bally Hallen dienen während der Umbauphase auch als temporärer Ausstellungsort. In der zweiten Jahreshälfte 2002 ist Rütimann mit seiner Einzelausstellung «Waschsalon – Der Stoff aus dem die Bilder sind» in Schönenwerd zu Gast.
Parallel dazu erkundet der Künstler mit seiner Handkamera die Baustelle in Aarau. Das achtminütige Video beginnt draussen und bahnt sich seinen Weg ins Innere der Kunsthausbaustelle. Und plötzlich taucht ein vertrautes Element auf, das Orientierung bietet. Die Kamera folgt der markanten Wendeltreppe in die Oberlichtsäle, hinauf ins gläserne Satteldach und wieder hinunter ins Untergeschoss, wo wir uns in dunklen Räumen zu verlieren scheinen.
In «Handlauf Umbau Aargauer Kunsthaus» wechseln sich Aussen- und Innenansichten ab, die Perspektive springt von der Horizontalen in die Vertikalen und wieder zurück, was beim Betrachten zu einem leichten Schwindelgefühl führen kann. Die teilweise wackelige Bildästhetik, der konstante Stop-and-Go-Rhythmus und die Fahrgeräusche offenbaren die Machart: Jede Einstellung endet an einer Stange oder Balustrade, die Rütimann mit seiner Handkamera auf Rädern abfährt. Er erkundet den Raum durch die räumlichen Linien und Flächen, die er vorfindet.
Christoph Rütimanns künstlerisches Schaffen umfasst eine Vielzahl von Medien, darunter Performances, Klang-, Text-, Foto- und Videoarbeiten sowie wie Malerei und Skulptur. Trotz dieser Vielfalt sind in seinem Werk der performative Ansatz und die Untersuchung von Linie und Fläche omnipräsent. Letztere sind schon in seinem Frühwerk erkennbar, beispielsweise in den grossformatigen Tuschezeichnungen «Grosse Linie» (1989) oder in der 1993 an der 45. Biennale in Venedig präsentierten «Schiefen Ebene», wo in der Barockkirche San Stae eine monumentale weisse Fläche den Raum schräg unterteilt.
«Handlauf Umbau Aargauer Kunsthaus» ist ein Geschenk des Künstlers zum 20-jährigen Jubiläum des Erweiterungsbaus und mit «Handlauf Kürbis» (2004–2005) das zweite Video in der Sammlung des Kunsthauses. Beide Arbeiten sind Teil seiner umfangreichen Serie «Handläufe», in der er mit seiner rollenden Kamera Geländer, Zäune oder Bordsteinkanten abfährt. Seit 1987 hat er auf diese Weise zahlreiche Gebäude und Orte im In- und Ausland erkundet und dabei bis heute über 200 Videos produziert.
Katrin Weilenmann, 2024