Tiflex auf Plane, galvanisierte Stahlröhren, Draht, 65.3 x 52.5 x 3 cm
Im Frühjahr 2014 gastiert Valentin Carron (*1977) mit der Einzelausstellung „Do ré mi fa sol la si do“ in der Kunsthalle Bern. Gerade hat die Kunstwelt den Walliser Mittdreissiger anlässlich der 55. Biennale von Venedig noch als minimalistischen Appropriationskünstler wahrgenommen. Nun überrascht er das Publikum mit einem umfangreichen Zyklus Malerei. In punkto Medienwahl bedeutet dies für Carron nach einer langen Malpause eine Rückkehr zu seinen Anfängen. Neu ist jedoch, dass es nur noch am Rande um die jeweils spezifischen Bildinhalte geht. Stattdessen steht deren exemplarische Qualität im Zentrum: ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zeit und ästhetischen Haltung. Dies als Ergebnis eines gezielten, übergeordneten Auswahlprozesses zu erkennen, wird durch die motivische und stilistische Vielfalt zunächst erschwert. Geometrisch-Abstraktes trifft auf mehr oder weniger stark Abstrahiertes und dieses wiederum auf eindeutig Figürliches wie den nach Luft schnappenden Fisch bei „3 Hammer Blows“. Einzig die zeichenhafte grafische Anmutung aller Motive und ihre oftmals isolierte Setzung wirken verbindend.
Entnommen hat Carron die Bildideen für diese Werkgruppe den Aufdrucken und Prägungen leinen- und ledergebundener Publikationen der Nachkriegszeit. Vielfach entstammen sie Deckeln und Rücken bibliophiler Reihen, die von den damals führenden frankophonen Verlagen wie Gallimard oder ambitionierten Buchclubs wie der Lausanner „Guilde du Livre“ herausgegeben wurden. Nicht wenige dieser Verlage und ihrer Autoren pflegten auch enge Beziehungen zu Künstlern. Carron richtet den Fokus aber einmal mehr auf die vergleichsweise mediokre, konformistisch gewordene Spätphase der Moderne. Diese scheint zwar vertraut. Doch mit wenigen Ausnahmen wie etwa Mario Prassinos’ Entwürfen für Gallimard bleibt sie auch anonym und enthüllt dadurch, so Carron, ihr Wesen als „industriell erstellte ‚modernistische‘ Einkleidung“.
Gemalt wurden alle Bilder, so auch „3 Hammer Blows“, mit Tiflex auf PVC. In der Wahl der Mittel – Plastikplanen statt Leinwand und schnelltrocknende Siebdruckfarbe – schlägt das industrielle Verständnis somit ebenfalls durch. Carron spricht diesbezüglich von einem „seelenlosen Material“, das weitgehend frei sei von kultureller Konnotation. Die Auswahl der Planen, die sich Carron von einem Unternehmer besorgt, erfolgt in der Regel aufgrund ihrer farblichen Nähe zum Motiv. Wegen des klebrigen und toxischen Farbverhaltens werden sie rasch bemalt, wobei ein Projektor den Vorgang beschleunigt. Fällt das Ergebnis halbwegs befriedigend aus, wird es samt allen Unsauberkeiten, die das Berufsethos eines Fachmanns nie zulassen würde, akzeptiert.
So lässig und wider alle Tradition wie der Malakt präsentiert sich zuletzt auch das fertige Werk: Mit nacktem Draht ist die Plane an Metallrohren aus dem Klempnersortiment fixiert – roh, funktional und objekthaft. Erst die einfallsreichen Titel bringen Originalität, Intellekt und Ernsthaftigkeit zurück: So hat man bei „3 Hammer Blows“ zunächst wohl tatsächlich den Sound von handwerklichen Hammerschlägen im Ohr. Doch wie der Berner Ausstellungstitel belegt und jener der nachfolgenden Soloshow „Music is a s-s-serious thing“ in Carrons New Yorker Galerie 303 bestätigt, spielt der Künstler mit leicht ironischem Unterton auch auf der Klaviatur der klassischen Musik. Wiederholt trifft man auf Werke mit Titeln wie „Lamento in grigio e nero“, „Lamento in blue bianco“ oder „Albinoni in Brown“. Wieso also bei „3 Hammer Blows“ nicht auch an Musik denken? An John Cage zum Beispiel. Oder an Gustav Mahler. Dessen 6. Symphonie weist im letzten Satz die Besonderheit auf, dass ein wuchtiger Hammer dreimal mit aller Kraft auf einen Auffangblock geschmettert wird. Eine ebenso freche Geste im Konzertsaal wie Carrons aneignende Praxis in der Welt der Kunst.
Astrid Näff