Öl auf Leinwand, 76.4 x 110.4 cm
Arnold Böcklin wurde 1827 in Basel als Sohn eines Textilkaufmanns geboren. 1845 bis 1847 studierte er an der Kunstakademie von Düsseldorf, wo er sich mit dem aus Zürich stammenden Rudolf Koller (1828–1905) anfreundete. Böcklins wichtigster Lehrer in Düsseldorf war der Landschaftsmaler Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863), sein bekanntester Mitstudent Anselm Feuerbach (1829–1880) aus Speyer. Während seiner Lehr- und Wanderjahre studierte Böcklin die niederländische und die französische Landschaftsmalerei, 1850 liess er sich in Rom nieder. Wie die Maler des Klassizismus bezog Böcklin die Anregungen zu seinen Gemälden aus der Antike und ihrem Geistesleben. Er übernahm jedoch nicht die kühle Idealität des 17. und 18. Jahrhunderts, sondern öffnete den Blick für das von den Griechen formulierte Allgemeingültige und Menschliche. Keine idealen Proportionen prägen seine Bildwelten, sondern Lebenslust, Romantik oder Ironie; und sein Pathos dient keiner Staatsräson, es unterstreicht die Heftigkeit existenzieller Äusserungen. Diese Auffassung machte ihn zunächst zu einem herausragenden Vertreter der Neurenaissance und danach zu einem wegweisenden Vertreter des Symbolismus. In vielen Gemälden sind die Zeugen der Antike – Götter, Halbgötter, Fabelwesen, Menschen, Bauwerke – nur eine Zutat, die Protagonistin ist die Natur. Gleichzeitig ist eine Abwendung Böcklins von der heroischen Landschaft und eine Hinwendung zum Paysage intime zu beobachten.
Zu den unspektakulären, aber virtuos gemalten Landschaften, die Böcklins profunde Kenntnis von der mediterranen Vegetation verraten, gehört auch „Bergschloss mit Ritterzug“. Von einem erhöhten Standpunkt aus geht der Blick über eine Landschaft, die zunächst leicht abfällt, dann wieder ansteigt und schliesslich auf einen hohen Horizont zuläuft, der von einem felsigen Grat gebildet wird. Eine struppige Vegetation, bestehend aus Macchia – dem Buschwald des Südens – und verdorrtem Gras, bedeckt sie. Wo die Feuchtigkeit für beides nicht reicht, liegt die Erde bloss. Nicht fehlen darf auch hier eine Gruppe von Zypressen, deren Wipfel von einem schwachen Wind leicht geneigt werden. Vom dunklen Grün der Büsche und Bäume hebt sich die Ruine eines dorischen Tempels ab. Der den Betrachtenden gegenüberliegende Hang wird von einer Strasse schräg durchschnitten, auf der sich ein Zug von Rotgekleideten aufwärtsbewegt. Mit geschulterten Speeren streben sie dem im Titel genannten Bergschloss zu, das sich nur undeutlich abzeichnet: eine Ansammlung dunkler Gebäude, von einem Kuppelbau überragt, der hell das Sonnenlicht reflektiert. Eine Gluthitze scheint auf allem zu liegen, und wir können erahnen, wie sich die Rotgekleideten fühlen, die auf dieser Strasse bergan ziehen. Der Staub, den sie aufwirbeln, zeigt ihre Marschrichtung an und verdeckt ihre Beine. Beim näheren Hinsehen entsteht der Eindruck, als wären die Ritter mit den in der Sonne blitzenden Lanzenspitzen durchsichtig und als würden sie nicht gehen, sondern schweben. Wie der verlassen mitten in der Landschaft stehende Tempel und das nur schemenhaft angedeutete Schloss sind auch die Rastlosen auf der staubigen Strasse nur vergängliche Erscheinungen, Zeugen eines menschlichen Strebens, das ohnmächtig bleibt inmitten einer Natur, die in ewigem Kampf mit den Elementen steht.
Hans-Peter Wittwer, 2019