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Camille Graeser, Betonte Energien, 1953/1966
Tusche und Gouache auf Papier, 36.5 x 51 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Camille Graeser-Stiftung, Zürich
Fotocredit: Jörg Müller

Im Laufe der letzten zehn Jahre konnte in unserer Sammlung mit drei wichtigen Gemälden von 1949, 1955 und 1958 eine herausragend qualitätvolle Werkgruppe von Camille Graeser (1892–1980) aufgebaut werden. Zwei Ankäufe wurden von der Camille Graeser-Stiftung durch die grosszügige Schenkung eines weiteren Werkes honoriert. Zusätzlich überliess uns die Nachlass-Stiftung 2003 das gesamte Skizzenmaterial zu diesen Werken, das höchst aufschlussreiche Einblicke in den Prozess der Bildfindung und Entstehung dieser konkreten Kompositionen eröffnet. Diese damit bestens dokumentierte Werkgruppe konnte 2005 durch die Erwerbung einer wichtigen autonomen Papierarbeit optimal ergänzt werden. Camille Graeser, der mit Max Bill (1908–1994), Richard Paul Lohse (1902–1988) und Verena Loewensberg (1912–1986) die Kerngruppe der Zürcher Konkreten bildete, ist damit in der Abteilung der konstruktiven und konkreten Kunst unserer Sammlung prominent vertreten.

Nachdem Camille Graeser in seinen früheren Jahren in Stuttgart vornehmlich als Innenarchitekt und Gestalter tätig war, wird er in Zürich, wohin er 1933 übersiedelt, in den Jahren zwischen 1937 und 1947 zum konkreten Künstler. In diesem Jahrzehnt geht er auf vielfältigen experimentellen Wegen und untersucht verschiedenste bildnerische Lösungen. Nach einer ersten geschlossenen Gruppe streng konstruktiv aufgebauter Bilder von 1950/51 folgen einige Krisenjahre mit der Untersuchung vielfältiger Bildmöglichkeiten. Ab 1955 lässt sich eine äusserst kohärente Entwicklung der Formensprache konstatieren, und es zeigt sich ein konsequenter Weg, von dem der Künstler in den zwei folgenden Jahrzehnten nicht mehr abweichen wird.

Das Blatt „Betonte Energien“ ist neben der Signatur doppelt datiert: „1953/66“ sagt uns, dass die Komposition zwar 1953 konzipiert, das vorliegende Blatt tatsächlich aber erst 1966 ausgeführt wurde. Es gibt ein einziges Bild von 1953, „Energie in der Reihe“ (Kunsthaus Zürich), mit dem unsere Komposition relativ eng verwandt ist. Tatsächlich ist die Sachlage aber etwas komplizierter, setzt doch die Werkreihe von Zeichnungen, zu denen unser Blatt gehört, bereits 1945 ein: in jenem und im Folgejahr realisiert Graeser eine Reihe von formal rigoros reduzierten schwarzen Tuschezeichnungen mit prekären Gleichgewichtskonstruktionen, die alle auf der Kombination von drei verschieden grossen T-Formen basieren. Das erste Blatt dieser Reihe ist explizit mit „Konstruktion T“ betitelt. Die Komposition unseres Blattes ist identisch, allerdings sind die Stellen, wo die T-Balken aneinander stossen, nicht schwarz ausgefüllt, sondern mit Quadraten, die je mit komplementären Farbpaaren im Verhältnis 1:2 horizontal aufgeteilt sind. Es dürfte sich um die erste T-Konstruktion handeln, die mit Farbe „energisch betont“ wurde.

Das Blatt wurde 2005 aus einer Auktion bei Christie’s erworben, in welcher der Basler Kunstverein Werke aus seiner Sammlung veräusserte. Das Blatt gilt im 1986 erschienenen Oeuvre-Katalog der Graeser-Zeichnungen als verschollen, allerdings wird dort die Skizze zur Komposition abgebildet (Z 1945.1.8). In einem Heft hat Graeser mit farbigen Tuschzeichnungen einen Katalog seiner Werke geführt, aus dem klar hervorgeht, dass es sich bei unserem Blatt um jene Zeichnung handelt, die der Künstler am 25. April 1967 Arnold Rüdlinger geschenkt hat. Im Frühjahr 1967, seinem letzten Lebensjahr, realisierte der legendäre Kunsthallen-Leiter Rüdlinger in Basel eine Graeser-Ausstellung. Diese ging am 23. April zu Ende. Graeser hat also diese im Jahr zuvor ausgeführte, autonome Zeichnung nach dem Abbau der Ausstellung Rüdlinger geschenkt. Nach dessen Tod wird sie in die Sammlung des Basler Kunstvereins integriert worden sein.

Beat Wismer

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