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Hermann Scherer, Bildnis Werner Neuhaus, um 1924 - 1925
Öl auf Leinwand, 170 x 80 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: lizenzfrei
Fotocredit: Dominic Büttner

An Silvester 1924/1925 gründen die Basler Maler Paul Camenisch (1893– 1970), Albert Müller (1897–1926) und Hermann Scherer (1893–1927) im völlig abgeschiedenen Mendrisiotto (Kanton Tessin) die Gruppe „Rot-Blau“. Kurze Zeit darauf wird der auf dem „Bildnis Werner Neuhaus“ dargestellte Künstler Werner Neuhaus (1897–1934) das vierte Mitglied. Die Künstlervereinigung wird mit dem Ziel gegründet, sich von etablierten, die Basler Kunstszene vereinnahmenden Künstlern abzuheben und im Verbund mehr Aufmerksamkeit und damit Ausstellungsmöglichkeiten zu erhalten. Zudem macht sich ein gesellschaftskritischer Ansatz sowie eine stilistische Abwendung von den älteren, meist dunkeltonig malenden Künstlern bemerkbar. Die 1905 in Deutschland gegründete, expressionistische Künstlergruppe „Die Brücke“ und insbesondere Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) dienen den jungen Basler Künstlern sowohl im Bezug auf das Kräftebündeln im Rahmen einer Künstlergruppierung als auch stilistisch als wichtige Vorbilder. Kirchners Werk wird 1923 erstmals institutionell in Zürich ausgestellt und in der Folge pflegen die Mitglieder der Gruppe „Rot-Blau“ einen persönlichen Kontakt mit dem deutschen Künstler. Die Bilder der Gruppe „Rot-Blau“ stehen in der Tradition des Expressionismus. Der Umgang mit Farbe und Form ist frei und die Maler verwenden oft ungemischte Farben. Die Motive sind reduziert auf markante Formelemente der Bildobjekte und brechen mit dem traditionellen perspektivischen Bildaufbau. Wichtig sind nicht die getreue und hübsche Wiedergabe sichtbarer Wirklichkeit. Im Gegensatz zu den impressionistischen Malern drücken die Expressionisten ihre subjektiven Regungen aus. Sie geben direkt und spontan ein „durchfühlt“ interpretiertes Motiv wieder. Das grossformatige „Bildnis Werner Neuhaus“ ist ein typisches Beispiel für diese junge, expressionistische Bewegung: Scherer malt seinen Freund Werner Neuhaus in intensiven Farben: Satte Blau-, Violett- und Rosatöne dominieren. Die Malerei ist direkt, spontan und weniger eine Abbildung des Äusseren, als vielmehr ein Versuch, das Innere wiederzugeben.

Der zur Entstehungszeit des Bildes gerade einmal 27-jährige Neuhaus wirkt in Anzug und Fliege sowie mit seiner Pfeife als gestandener, stolzer Maler. Diese Darstellungsweise deckt sich mit der selbstischeren Ausstrahlung, wie sie denn auch von dem Malerkreis ausgeht. Der Hintergrund wird von einem Wandgemälde dominiert, worauf eine Familie zu vermuten ist. Auffällig sind die grossen, fragenden Augen der Dargestellten, die sich direkt auf die Betrachtenden richten. Diese Darstellung bildet somit einen Gegenpol zum selbstsicheren Mann im Vordergrund. Scherer gelingt es, nebst der imaginierten Zukunftsschilderung von Werner Neuhaus gleichsam Existenzangst als menschliche Grunderfahrung überzeugend darzustellen.

Hermann Scherrer, geboren in deutschen Rümmingen wächst wie auch Werner Neuhaus in einer Bauernfamilie auf. Nach einer Ausbildung zum Steinmetz in Deutschland wird Scherer Assistent des Bildhauers Otto Roos (1887–1945). In dessen Basler Atelier tätigt er erste künstlerische Versuche. In der Schweizer Kunstszene bereits gut vernetzt, kann Scherer 1920 einige Arbeiten in der Kunsthalle Basel zeigen, wo er auf Kirchner trifft. In dieser Zeit setzt sich Hermann Scherer nebst der bildhauerischen Tätigkeit erstmals auch mit der Malerei auseinander. Dominiert werden seine Zeichnungen und Gemälde von Darstellungen des nackten Körpers, sowie der Beziehung von Mutter und Kind oder Mann und Frau, was auch im „Bildnis Werner Neuhaus“ subtil anklingt. Nach dem Frühwerk, das sich an einem strengen Klassizismus orientiert, findet Scherer, der gelernte Steinmetz, dank zahlreicher Aufenthalte bei Kirchner in Davos neue malerische Impulse und einen neuen Zugang zur Bildhauerei. Er beginnt mit Holz zu arbeiten und modelliert Baumstämme in „taille directe“, schnitzt die Skulpturen also direkt und ohne Vorlage. Gerade mal 34-jährig verstirbt Hermann Scherer an den Folgen einer Streptokokken-Infektion in Basel.
Der Künstler hinterlässt einen eindrucksvollen Beitrag zum Schweizer Expressionismus. Mit seinen Skulpturen gehört Scherer neben Ernst Barlach (1870–1938), Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) und Kirchner zu den bedeutendsten Bildhauern des Expressionismus.

Christian Herren

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