Öl auf Holz, 88 x 108 x 6 cm
Pia Fries (*1955) absolviert von 1977 bis 1980 die Bildhauerklasse von Anton Egloff (*1933) an der Schule für Gestaltung in Luzern. Danach studiert sie bis 1986 in Düsseldorf, wo sie seither lebt, als Meisterschülerin von Gerhard Richter (*1932) an der Staatlichen Kunstakademie Malerei. Dieser Ausbildungsweg ist insofern bemerkenswert, als er in eine Zeit fällt, die in tradierten Kunstformen nach zwei Jahrzehnten des Desinteresses neue Innovationskraft sieht. In diesem Klima findet Pia Fries, malerisches und plastisches Denken verbindend, in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zu ihrem Ausdruck. Sie entwickelt eine Handschrift, die sich durch einen betont pastosen, modellierenden Farbauftrag auszeichnet und die Farbmassen im Wechsel mit flüssiger gehandhabten und folglich flacheren Partien als vielgestaltiges sinnliches Ereignis zelebriert. Ungemischt und zuweilen gar direkt aus der Tube setzt sie die Farben auf den Bildträger, vertreibt und verwischt sie, verquirlt sie, glättet, schichtet oder strukturiert sie, kratzt sie ab und appliziert sie anderswo oder lässt ihnen nach dem Prinzip des gesteuerten Zufalls ihren eigenen Willen. Mit dieser spontan wirkenden, faktisch jedoch sorgsam austarierten Malerei, die jeden Verweis auf eine ausserbildliche Realität entbehrt, scheint Pia Fries sich einzureihen in die gestisch geprägte, abstrakt-expressive Tradition. Tatsächlich aber grenzt sie sich davon ab, denn ihr Augenmerk liegt nicht auf dem subjektiv-aktionistischen Moment, sondern auf dem bildnerischen Potenzial der Malerei, ihrer physischen und plastischen Präsenz.
Wie sehr das Materielle dabei immer mit Schaulust verbunden ist, zeigt das 1995/96 entstandene und im Folgejahr zusammen mit dem etwas grösseren Werk „lumnes“ (Inv.-Nr. 5040) aus der Einzelausstellung der Künstlerin im Aargauer Kunsthaus erworbene Bild „dadens“. Unablässig streift der Blick zwischen den peripher und nicht-hierarchisch von verschiedenen Seiten aufgebrachten Farbsensationen hin und her. Hakt das Auge sich doch einmal fest, so nur kurzzeitig, etwa um ein Detail zu ergründen oder den in der Farbmaterie stets ablesbaren Arbeitsgang zu reflektieren. Der Stabilität wegen wie die Mehrzahl von Pia Fries’ Gemälden auf Holz ausgeführt, lässt „dadens“ gegenüber den erdigen Tönen der ersten abstrakten Werke aus den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren eine „barocke“ Aufhellung der Farbpalette erkennen. Zudem sind die anfangs geschlossenen Farbdecken einer lockeren Anordnung gewichen. Darin künden sich die spätestens ab 1997 noch höheren Weissflächenanteile an, die ihrerseits ab 1999 in die Rückkehr des Repräsentativen in Form von unterlegten Siebdruckmotiven münden. Wie bei Richters Œuvre wird die Trennung in Abstraktion und Figuration somit aufgehoben, wodurch sich der Fokus auf die spezifischen Eigenheiten malerischer und reproduzierender Techniken verschiebt. In diese Richtung weist auch der nachträglich zur vereinfachten Rede über das Werk verliehene Titel, der wie andere Findungen aus demselben Zeitraum Orts- und Flurnamen aus Graubünden aufgreift. Mit ihm tut sich eine landschaftliche Lesart der Farbschichtungen auf, die aber nichts Abbildendes an sich hat und somit zwangsläufig spekulativ bleiben muss, doch genau dadurch dem Malerischen genuin entspricht.
Astrid Näff