Fotografie von Jakob Nielsen auf Leinwand, 78 x 105 cm
In der Schweizer Kunstszene erwacht um 1970 ein neues, bisher unbekanntes, Selbstbewusstsein, was zu radikalen Veränderungen in der Kunstlandschaft führt. Mit dem Wissen internationaler Entwicklungen verlagert sich die Konzentration der Kunstschaffenden in den subjektiven Erfahrungsraum und in die persönliche Umgebung. Provinzielle Regionen wie Aarau, Bern und Luzern entwickeln sich zum ersten Mal zu führenden Schweizer Kunstzentren. Heiner Kielholz (*1942) gehört zu den Künstlern, die die Neuerungen mittragen: Nach einer Hochbauzeichnerlehre und Unterricht an der Kunstgewerbeschule in Zürich arbeitet er von 1967 bis 1972 neben Hugo Suter (1943–2013), Max Matter (*1941), Markus Müller (*1943), Christian Rothacher (1944–2007), Josef Herzog (1939–1998) und anderen in der legendären Ateliergemeinschaft am Ziegelrain in Aarau. Es handelt sich dabei nicht um eine Künstlergruppe im engeren Sinne, sondern um eine Art Labor, wo neue künstlerische Konzepte und Ausdrucksweisen erprobt werden.
Kielholz beginnt Anfang 1969 seine Untersuchungen zum Thema (Bild-)Raum und experimentiert mit der Wahrnehmungsfähigkeit der Betrachtenden. Es entsteht eine Reihe von Tupfenbildern – von kleinformatigen Tuschezeichnungen bis hin zu riesigen Ölmalereien – in Schwarz und Weiss. Um 1970 gehört Kielholz zur jungen Schweizer Avantgarde und erregt mit seinen Arbeiten in der damaligen Kunstwelt Aufmerksamkeit. Der Kunsttheoretiker Theo Kneubühler berücksichtigt ihn 1972 in seiner „Abhandlung Kunst: 28 Schweizer“ und umschreibt seine damaligen Werke wie folgt: „Auf die weisse Fläche einer Leinwand wurden schwarze Tupfen gesetzt, die als Verband eine reguläre Ordnung bilden, indem sie horizontal/vertikal parallelisieren. Durch das freie Hintupfen jedoch hat jeder einzelne Punkt eine ganz bestimmte Form, ist breiter, dicker, länger oder runder als sein Nachbar. Durch diese punktuelle Irregularität beginnt die Regularität des Verbandes zu fluktuieren, wird optisch lebendig. An dieser Stelle, wo weiss dominiert, bildet sich Tiefe, der Raum dehnt sich; dort wo das Schwarz vorherrscht, zieht sich der Raum zusammen, wird in den Vordergrund gedrängt.“
1970 geht Kielholz einen Schritt weiter und bezieht die Fotografie eines Dalmatiners in seine Untersuchungen mit ein. In einer Reihe von Zeichnungen und Fotografien, die in Zusammenarbeit mit Jakob Nielsen (*1950) entstehen, erreicht Kielholz eine weitgehende Verschmelzung von Raum und Objekt. Neben der Irritation der Wahrnehmung manifestiert sich darin ein darüber hinausreichendes Interesse an der Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und seiner Umgebung.
Karoliina Elmer