Öl auf Leinwand, 113.5 x 75 cm
Der Maler, Zeichner und Porträtist Barthélemy Menn (1815–1893) übt als Lehrer für Figurenzeichnen an der Ecole des Beaux-Arts in Genf während 42 Jahren eine prägende Wirkung auf nachfolgende Künstlergenerationen aus. Sein Unterricht zielte darauf ab, die Entwicklung der Persönlichkeit seiner Studierenden zu fördern. Damit unterstützt er massgeblich den Werdegang von Kunstschaffenden wie beispielsweise Auguste Baud-Bovy (1848–1899), Ferdinand Hodler (1853–1918) oder Edouard Vallet (1876–1929). Seine einflussreiche Lehrtätigkeit macht Menn zu einem wichtigen Erneuerer der Schweizer Malerei.
Menn stellt im hochformatigen Gemälde eine Szene aus der Apostelgeschichte (8:26–40) dar. Aufgefordert von einem Engel, bricht der Heilige Philippus von Jerusalem nach Gaza auf. Zur gleichen Zeit ist der Schatzmeister der Königin von Äthiopien auf dieser Strasse unterwegs. Er liest im Buch des Propheten Jesaja, als Philippus ihm begegnet und ihn darauf anspricht. Der Hofbeamte bittet den Apostel, auf seinen Wagen zu steigen, und Philippus erklärt ihm anhand der Geschichte die Botschaft von Jesus. Als sie eine Wasserstelle passieren, will der Höfling wissen, ob hier getauft werden könne, woraufhin er von Philippus die Taufe empfängt.
Wie es für die Gattung des Historienbildes üblich ist, wählt Menn für die Darstellung des religiösen Inhalts den Höhepunkt der Erzählung. Er scheint die Geschichte jedoch als Vorwand zu nutzen, um die Szene in der Natur einzubetten. Im Aufbau folgt Menn der traditionellen italienischen Landschaftsmalerei. Die erwähnte Handlung spielt sich im schattigen Vordergrund ab. Im Mittelgrund arbeitet Menn eine für ihn charakteristische Wald- und Gebüschpartie aus. Der Hintergrund bildet in seiner lichten und heiteren Gestaltung einen Gegensatz und die angedeuteten Städtchen erinnern an Orte im Albaner- und Sabinergebirge.
Nach ersten Lehrjahren bei den Genfer Malern Léonard Lugardon (1801–1884) und Wolfgang-Adam Töpffer (1766–1847) wird Menn mit 18 Jahren nach Paris geschickt, wo er im Atelier von Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867) aufgenommen wird. Als dieser bald darauf zum Direktor der französischen Akademie in Rom ernannt wird, reist ihm Menn über Venedig und Florenz nach. In Rom setzt sich Menn mit den Fresken Raffaels (1483–1520) sowie Michelangelos (1475–1564) auseinander und malt nach der Natur. 1837, während eines Aufenthalts in Süditalien, wendet er sich der Landschaftsmalerei zu, da Ingres‘ historisierenden Figurenbilder nicht seinen künstlerischen Bestrebungen entsprechen. Die Jahre von 1838 bis 1843 verbringt Menn erneut in Paris. Dort begegnet er u.a. Eugène Delacroix (1798–1863) und dem Kreis der Schule von Barbizon um Jean-Baptiste Camille Corot (1796–1875). Letzteren bezeichnet Menn als „le maître des valeurs justes“. Ihm verdankt er entscheidende Impulse für seine eigenen Landschaftsdarstellungen. In dieser Zeit findet Menn zu einer Synthese von klassischer Strenge undromantischer Exaltation.
Menn kehrt nach Genf zurück; seine poetisch-idyllischen Landschaftsauffassungen erfahren jedoch kaum Zustimmung in der von der Gebirgsmalerei eines François Diday (1802–1877) und eines Alexandre Calame (1810–1864) dominierten Stadt. Erst 1850 wird er als Lehrer an die Ecole des Beaux-Arts gewählt. Eigene Bilder malt der äusserst selbstkritische Künstler nur noch fernab der Öffentlichkeit – er zerstört sogar einige seiner Werke – und widmet sich fortan hauptsächlich der Ausbildung seiner Schüler. „Der Heilige Philippus tauft den Schatzmeister der Königin von Äthiopien“ entsteht zu Beginn der 1850er-Jahre, als Menn Skizzen seiner Italienreise von 1852 verarbeitet und beginnt, sich von Landschaften mit historischer oder mythologischer Staffage abzuwenden.
Karoliina Elmer