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Daniela Keiser, Fotoarchitekturen, Schwalbennest, 2010
Installation mit 14 C-Prints, 20.3 x 30.4 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Daniela Keiser
Fotocredit: Galerie Stampa

2005 kaufte das Aargauer Kunsthaus zusammen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesamt für Kultur, eine erste Arbeit von Daniela Keiser. Die Videoinstallation mit dem Titel „Demets Augenblicke“ besteht aus einem Tisch, auf dessen Unter- und Oberfläche jeweils ein Film projiziert wird. Die Arbeit entstand 1999 und dokumentiert Keisers Schaffensphase dieser Jahre. Mit dem Ankauf der drei Fotografien „Süd-, Ost-, Westreservat“ (2009–2010) und der Arbeit „Fotoarchitekturen, Schwalbennest“ (2010) erweitert das Aargauer Kunsthaus seine Sammlung um zwei bedeutende, mehrteilige Arbeiten von Keiser.

Keisers bevorzugte Medien sind die Fotografie, die Collage, die Installation und, insbesondere in einer ersten Schaffensphase in den 90er-Jahren, auch die Aktion und das Video. Bei der mehrjährigen Aktion „Ihr Wickel ist bei Ihnen zu Hause oder im Büro“ (1991–2000) überliessen 99 Bekannte der Künstlerin auf Anfrage ein Kleidungsstück, dass diese zu einem Bündel zusammennähte und an die Besitzer zurück schickte. In einer Folgearbeit mit dem Titel „Nachfrage“ (1990–2000) fotografierte Keiser diese Objekte. Die Fotografie als künstlerische Ausdrucksmöglichkeit ist bei Keiser meist nur Teil einer Anordnung, die installativen oder aktionsbezogenen Charakter hat. Die Positionen der Bilder im Raum sind ein zentrales Element der Wahrnehmung. Erst durch die Beziehungen untereinander und zum Betrachter entstehen die verflochtenen Bedeutungsebenen, zu deren Entzifferung der Betrachter aufgefordert wird.

Die Arbeit „Fotoarchitekturen, Schwalbennest“ besteht aus vierzehn kleinformatigen Fotografien. Sie zeigen allesamt Detailansichten von öffentlichen und privaten Zimmern. Erkennbar sind diese Inhalte aber erst, wenn der Betrachter sich den Arbeiten nähert und genau hinschaut. Es wird ersichtlich, dass es sich um die Ecke eines Schlafzimmers handelt, um räumliche Situationen in Stuben, Hotelzimmern, Ateliers oder Mansardenzimmern. Die Abzugsrohre eines Ofens oder die salopp hingeworfenen Kleidungsstücke vor einem Bett verweisen dezent auf mögliche Handlungen und Geschichten. Die Fotografien sind an der Wand angeordnet und die genaue Betrachtung erfordert ein kontinuierliches Schauen. Das Erfassen der Gesamtansicht gibt eine neue Perspektive frei, verhindert aber gleichzeitig den Einblick in die einzelnen ‚Nester‘. Nestgefühl entsteht nur, wenn Nähe möglich ist.

Keiser nennt ihre Arbeiten ‚Fotoarchitekturen‘ und verweist dabei auf die spezifische Situation der oszillierenden Wahrnehmung zwischen dem Gesamten und dem Einzelnen. Der Zusatz ‚Schwalbennest‘ bezeichnet eine der am höchsten entwickelten Formen des Nestbaues. Schwalben bauen ihre kleinen und fragilen Nester unter den Giebeln der Häuser. Die Nester sind kleinstmögliche, geschützte Rückzugsorte, für deren Bau kein Aufwand gescheut wird. Es sind aber auch Schlupfwinkel, die nur vorübergehend genutzt werden. Die Arbeit „Fotoarchitekturen, Schwalbennest“ von Keiser ist eine Zusammenstellung von Fotografien, die alle einen vielschichtigen und assoziativen Bezug zu diesem Thema haben.

„Fotoarchitekturen, Schwalbennest“ postuliert das Gegenteil dessen, was die Medien – und im Besonderen die Boulevardpresse – täglich bietet. Die Einsicht in ein Nest, einen Wohnort, den Ort der klassischen ‚homestory‘, ist bei Keiser eine feine und gefühlsvolle Reise. Es handelt sich um die Umkehrung alltäglicher Sehgewohnheiten. Orte, die den Voyeurismus des Betrachters bedienen, werden gezeigt, doch die Erwartungen nicht bedient. Die nach oben und auf die Seiten ausladende Fotoarchitektur entfaltet bei der Betrachtung nach und nach subjektive Geschichten und Gefühlslagen, die mit der Zeit erzählerische Momente annehmen. Die Bilder geben nur einen zögerlichen Blick auf die Nester frei, vieles bleibt Andeutung und Leerstelle. Zentrales Bild ist die Unteransicht von einem Paar Füsse. Ist mehr Nähe und Ironie möglich, als in ein ‚Nest‘ zu blicken, in dem die Fusssohlen der im Bett liegenden Person zu sehen sind und dabei die Identität dieser Person unbekannt bleibt?

Thomas Schmutz

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