Holz, Glas (böhmisches Glas, mundgeblasen), Schrank 310 x 110 x 105 cm
Thomas Huber, 1955 in Zürich geboren, ist ein konzeptueller Maler und Denker. Seine Bildauffassung setzt er in den Bereichen Malerei, Aquarell, Zeichnung, Objekt, Druckgrafik, Kunst am Bau, Künstlerrede und Künstlerbuch um. Hubers intellektuell komplexes und vielseitiges Werk nimmt eine Sonderstellung unter den europäischen Künstlern seiner Generation ein. Besonderes Markenzeichen Hubers sind „Künstlerreden“, in denen er seine Bilder vor Publikum präsentiert.
Der „Grosse Glasschrank“ ist eine Vitrine aus lackiertem Kirschbaumholz. In deren fünf Fächern werden dreizehn mundgeblasene Gefässe aus grünlichem böhmischem Glas präsentiert. Die Gefässe sind jeweils mit einem in das Glas geätzten Eichstrich und dem Schriftzug „Geeichte Bildtiefe – Thomas Huber, 1992“ versehen. Der „Grosse Glasschrank“ gehört zu Hubers bislang umfangsreichsten Werkgruppe „Die Bank – Eine Wertvorstellung“ (1989/1992), die über 140 Werke umfasst. Der „Grosse Glasschrank“ verdeutlicht dabei den alchimistischen Aspekt. In der Rückwand des Schranks ist im Holzfurnier eine große Flamme eingelassen. Im Sinn einer Wärmemetapher verkörpert der Glasschrank für Huber auch das Bild eines Ofens – und ist ein Hinweis auf die transformatorische Kraft der Kunst.
Die Glasgefässe, die der Künstler in mehreren Ölbildern, Aquarellen, Zeichnungen und plastischen Modellen als Motiv entwickelt, sind nach alchemistischen Prinzipien je einem Tier, einem Metall und einer Farbe zugeordnet. Sie sind zudem als Seifenformen und als geätzte Formen in den Glasscheiben des „Grossen Bankmodells“ umgesetzt, das sich im Besitz des Mamcos in Genf befindet. In der humorvollen Erzählung „Die Bank – Eine Wertvorstellung“ (1991) spielt der Ofen eine Hauptrolle, wobei der Protagonist, ein Künstler, alchemistische Prozesse auf sein Kunstschaffen und das Kunstsystem überträgt.
Ein zweiter wichtiger Aspekt des „Grossen Glasschrankes“ ist Hubers Masssystem, das Huber mit der Künstlerrede „Vom Eichen der Bildtiefe“ in seiner Ausstellung „Der Duft des Geldes“ im Centraal Museum Utrecht (1992) demonstriert: Huber füllt vor sitzendem Publikum Wasser in die Gefässe des „Grossen Glasschranks“ und ermittelt anhand ihres Klangs die „Geeichte Bildtiefe“. Huber entwickelt hiermit seine in den 80er Jahren entworfene Bildtheorie weiter, die er später „Bildanschauung /Arrêt sur l’image“ (1996) nennt. Huber erläutert: „Zwei Künstler, die mir sehr wichtig sind, haben das ʹMassgebendeʹ ihrer Kunst festgehalten: Dürer ʹUnterweysung der Messungʹ und Duchamp ʹtrois stoppage étalonsʹ. Diesen beiden Masssystemen stelle ich den ʹGrossen Glasschrankʹ gegenüber. Kunstmachen verstehe ich als massvolles und massgebendes Geschäft. Insofern ist der Glasschrank die Basis meines Kunstschaffens.“ Ausführungen zu Hubers „Eichen der Bildtiefe“ sind in der Publikation „Der Duft des Geldes“ (1992) zu finden.
Der „Grosse Glasschrank“ ist ein Prototyp Hubers „Bildanschauung“, an dem deutlich wird, dass Huber sich keinen Trends unterwirft, sondern ein für sein Œuvre eigenes Ordnungsprinzip schafft.
Der „Grosse Glasschrank“ wurde 2018 anlässlich der Ausstellung „Bilder für alle. Druckgrafik und Multiples von Thomas Huber 1980–2018“ angekauft.
Von dem Vitrinenschrank wurden zwei Exemplare angefertigt; die Vasen sind als Multiples aufgelegt. Die Konstruktionspläne des Schrankes befinden sich im Archiv Thomas Huber, Berlin.
Beate Klompmaker