1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton, 02' 34''
Bei Yves Netzhammer (*1970) kommen Bilder selten zur Ruhe. Dies gilt auch für die Arbeit „Indirektes Sprechen vor weggedrehten Bäumen“ (2016 / 2021), deren auffälligstes Element ein halbes, verkehrtherum auf einem Handlauf fixiertes Fahrrad ist. Da Netzhammers Praxis sehr assoziativ funktioniert, darf spontan durchaus an eine Reparaturwerkstatt oder eines jener pitoyablen Exemplare gedacht werden, auf die man zuweilen im öffentlichen Raum trifft. Genauer besehen fällt jedoch auf, dass Sattel, Lenker und Vorderrad fehlen, während Rahmen, Pedale, Kette und Hinterrad übrig sind – kurz: das Antriebssystem. Nicht im Fahrrad liegt folglich die Bedeutung, sondern in seiner Eigenschaft als bewegtes Objekt. Deutlich zeigt sich dies an Netzhammers Entscheid, das Hinterrad rotieren zu lassen, obschon ein Vorankommen unmöglich ist. Mit einem Zwinkern zitiert er damit das ikonische Werk „Roue de bicyclette“ (1913) von Marcel Duchamp (1887 – 1968), das als Vorform des Readymade und erste kinetische Plastik des französischen Ausnahmekünstlers gilt. Während Duchamp indes sein umgekehrt auf einen Hocker montiertes Rad in Anlehnung an Glücksräder oder schlicht zur Beruhigung jeweils von Hand in Schwung versetzte, ist Netzhammers Installation motorisiert. Diesen Vorteil heutiger Technik ausspielend, kreisen alle beweglichen Teile gleichmässig wie ein Perpetuum Mobile vor sich hin.
Weitere bewegte Elemente bringt ein Videoscreen ein. Sie dürfen als Kernstück der Arbeit gelten, denn obwohl Yves Netzhammer in subtiler Verweigerungstaktik gegenüber klassischer Könnerschaft zur Computermaus greift, ist er vom Wesen her Zeichner. Mit einem gewollt nicht mehr ganz aktuellen Programm sucht er nach neuen erzählerischen Wegen und empathischen Momenten. Zum Merkmal seiner Werke ist so nebst der installativen Erweiterung zum einen die reduzierte Grafik geworden, zum andern das Prinzip der sich kontinuierlich wandelnden Form. Interessant sind die Übergänge, da dort, wie beim Sprachaufbau, überraschende und individuelle synaptische Verbindungen entstehen. In hartem Schwarzweiss, doch offen zu deuten, ziehen so sprechende Vögel, Harpyien, Schädelpuppen, tanzende Bäume oder amorphe Arp’sche Figuren auf dem Bildschirm vorbei, phasenweise in scheinbarer Drehung. Zwischen die Radspeichen geklemmte Balken und Rhythmuswechsel erzeugen zusätzliche Komplexität und eröffnen Bezüge zu Apparaturen wie Zoetrop, Praxinoskop oder Elektrotachyskop und ähnlichen Faszinosa aus der Frühzeit des bewegten Bildes.
Entstanden ist „Indirektes Sprechen vor weggedrehten Bäumen“ für die Ausstellung „Schweizer Skulptur seit 1945“ in Ausbau einer älteren, 2016 in Chur in einer Zeichnungsausstellung gezeigten Version. „Mach’ mich porös, teile mich auf und lass meine Oberflächen Täler und Berge werden!“ lautete deren das Werk ebenso frei umspielender Titel. Anstelle der Übereckpräsentation trat in Aarau eine Lösung, bei welcher der Handlauf eine freistehende Wandscheibe raumhoch umzog.
Astrid Näff, 2022