Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
X
Michel Grillet, Mémoire de paysage (12-teilig), 2004 - 2005
Gouache auf Gouachefarbtabletten, 12-teilig, je Tablette 2.9 x 3.4 x 0.9 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau und Schenkung Michel und Raffaella Grillet

Das Schaffen des Genfer Künstlers Michel Grillet (*1956) lässt sich in einem Satz umschreiben: Er malt Horizont, Berge und Himmel. Seit dem Studium an der Genfer Hochschule der Künste Ende der 1970er-Jahre widmet er seine künstlerische Praxis mit unbeirrbarer Konsequenz der Landschaftsdarstellung und unterstellt sie einem konzeptuellen Ansatz mit streng definierten Prämissen: Sein Medium ist die Aquarell- und Gouachemalerei, innerhalb der er sich wiederum auf eine stark reduzierte Farbpalette aus blauen und graublauen Tönen beschränkt. Das auffällig kleine bis miniaturhafte Format, das alle Arbeiten eint, kann gleichermassen als Gegenentwurf zur Monumentalität der zeitgenössischen Kunst wie als Referenz auf die Miniaturmalerei vergangener Epochen verstanden werden.

Innerhalb dieses rigoros abgesteckten Spektrums der künstlerischen Möglichkeiten haben sich über die Jahre vier Darstellungstypen herausgebildet, die der Künstler kontinuierlich variiert – darunter die Reihe „Mémoire de paysage“ (Landschaftserinnerung), der auch das vorliegende Werk angehört. Die in anderen Arbeiten jeweils für sich verhandelten Sujets Horizont, Berg und Sternenhimmel werden in dieser Werkgruppe zusammengeführt. Im Gegensatz zu den sphärischen Aquarellen, in denen Grillet die Abbildung Schicht für Schicht auf Papier aufträgt, entsteht die Darstellung hier gleichsam aus dem Bildträger heraus: Als Malgrund dienen dem Künstler einzelne Gouachefarbtabletten der Marke Caran d’Ache, auf die er ebenfalls mit Gouache seine Motive appliziert. Der Grundfarbton ist dabei durch den jeweiligen Bildträger vorgegeben. Im vorliegenden Werk kommen dem dominierenden Dunkelblau ganz unterschiedliche Funktionen zu: Mal bezeichnet es die unendliche Weite des Nachthimmels, mal wird es zur Schattierung von Berghängen eingesetzt und ein weiteres Mal dient es der Darstellung von Gebirgszügen, die im Licht der Dämmerung nur als Silhouette erkennbar sind. Dass es sich keinesfalls immer um die gleiche dunkelblaue Farbnuance handelt, wird bei näherer Betrachtung der Farbtabletten deutlich: Sie tragen an der Seite neben der Seriennummer eine Zahl, die den enthaltenen Farbton angibt. Die restlichen Farben dieser Miniaturgemälde entstehen ausschliesslich durch die Beigabe von Weiss in unterschiedlichem Mischverhältnis. Hier handelt es sich – wenn man so will – um Malerei in ihrer reinsten Form, die gänzlich ihrem Material entspringt, sich selbst Grund und Träger ist. Sie verweist auf ihren Ursprungsort – den Farbkasten ¬–, auf den auch die blockweise Anordnung in zwei Gruppen à sechs Farbtabletten anspielt.

Konträr zu dieser formal strengen Ausgangslage steht auf inhaltlicher Ebene eine sehr persönlich motivierte Sujetwahl. Am Genfersee aufgewachsen und wohnhaft, speisen sich die Landschaftsausschnitte aus dem reichen Erinnerungsfundus des Künstlers. In akribischer Arbeit überführt Grillet Eindrücke und Vorstellungen aus dem Gedächtnis in letztlich imaginäre Bilder und destilliert auf diese Weise eine Essenz der Landschaft. Jenseits jeglichen Bestrebens nach illusionistischer Darstellung erlaubt dieses Vorgehen, zugleich das Bild der Natur und die Natur des Bildes zu befragen. Die Übertragung der erhabenen Natur- und Landschaftsphänomene in die nüchterne Form der industriell gefertigten Farbtablette schafft Distanz zwischen Betrachtenden und landschaftlichem Motiv, gleichwohl entfaltet „Mémoire de paysage“ gerade durch seine formale Bescheidenheit sowie die Einbettung des unendlich Grossen im ganz Kleinen seine einnehmende Wirkung. Zur langen Tradition der Schweizer Alpen- und Landschaftsmalerei von Caspar Wolf bis Ferdinand Hodler, die einen Schwerpunkt innerhalb der Sammlung des Aargauer Kunsthauses darstellt, bildet „Mémoire de paysage“ eine pointierte, zeitgenössische Ergänzung. Zeitgenössisch auch in dem Sinn, dass der Künstler sein Werk nebst der augenscheinlich poetischen Ebene auch als Kritik an die heutigen Medien versteht. SO begreift er die Farbtabletten als objekthafte Anlehnung an Bildschirme jeglicher Art und spielt damit auf eine Gesellschaft an, die ihre Naturerlebnisse zunehmend über Fernsehapparate, Computer, Handys, Tabletts und Videospiele konsumiert.

Raphaela Reinmann

X