Inkjet print auf Papier, je 30.8 x 22 cm
Seit den späten 1970er-Jahren, als er sich nach dem Vorkurs an der Zürcher Kunstgewerbeschule für eine Ausbildung zum Fotografen entschied, betreibt Pietro Mattioli (*1957) eine primär dem Konzeptuellen und der Serie verpflichtete Fotografie. Im jüngeren, auch andere Medien und installative Präsentationen umfassenden Schaffen verbindet sich dieser Zugang mit der grundlegenden Frage nach dem Wesen des Bildes: Wie zum Beispiel verhält sich dieses zur Realität, die es abbildet? Und wie wirken Werkform und Kontext auf die Wahrnehmung des Bildgegenstandes zurück?
Oft sind es unscheinbare Dinge und Orte, anhand derer Mattioli seine Bildforschung betreibt. Dies gilt auch für die 18-teilige Arbeit „Nacht“ (2006 – 2007 / 2012), die er 2015 zusammen mit dem Follow-up „Lichter“ (2006 – 2007 / 2013) in der Ausstellung „Nachtbilder“ im Aargauer Kunsthaus gezeigt hat. Anders als beim späteren Werk, wo der Vordergrund digital entleert wurde, haben die vorliegenden Aufnahmen keine Bearbeitung erfahren. In gegebener Hängung bilden sie einen der Blöcke, die der Künstler nach formalen Kriterien – hier die kühle, silberne Farbqualität – 2012 für seine Ausstellung „Der Sockel des Bildes“ im Museum im Bellpark in Kriens zusammengestellt hat. Zugleich sind sie Teil des 80-teiligen Zyklus „Nacht“, den er 2006–2007 auf abendlichen Streifzügen durch Zürich-Wiedikon unweit seiner Wohnung festgehalten und Ende 2007 mit verwandten Motivfolgen – in Hinterhöfen entdeckte Spinnennetze (2004), TV-Antennen (2007) und ähnliche «Bildfänger » – im Zürcher Ausstellungsraum 25 erstmals gezeigt hat.
Treffend benennt der Ausstellungstitel „Two Thousand Light Years from Home“, der später auch zum Titel eines Bildbandes wird, die fremdartige, angesichts des knappen Umgebungslichts und des geisterhaften Auftauchens ungeahnt raumschaffende Wirkung der Motive. Mithilfe des schwachen, nur zwei bis drei Meter weit reichenden Blitzes einer simplen Kompaktkamera für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Dunkel geschält, lenken die Dinge, auf Diafilm gebannt, den Blick in einigen Aufnahmen allein auf sich selbst. In anderen durchschneiden sie die Nacht und verlieren sich wieder darin oder sie interagieren mit den wenigen, aber markanten Lichtpunkten im Hintergrund, sodass das Raumsehen trotz des Paradoxons einer fast ohne Licht generierten Fotografie dennoch einsetzen kann. Eine Besonderheit schliesslich stellen diejenigen Ansichten dar, die Strukturen ins Licht holen, die auf Fehlstellen verweisen wie die leere Metallfassung eines Schildes, der von rostigen Klammern und unzähligen Plakatresten überzogene Lattenzaun oder – ein Glücksfall – Reissnägel an einem Baumstamm, die in Farbe und Grösse exakt den Lichtern dahinter entsprechen. Trouvaillen wie diese sind es, die Mattiolis Anliegen womöglich am besten resümieren: sein Nachdenken über die Bildwerdung und Bildrezeption an der Schwelle zum Nichts, einem Nichts, das sich bei näherem Hinsehen indes als nur temporär unsichtbarer Zustand manifestiert, aus dem heraus sich der Inhalt dank rahmender Konzepte – Text inklusive – stets wieder aufrufen lässt.
Astrid Näff