Filzstift auf Papier, je 28.6 x 20 cm
Aus der Not seiner Sehschwäche heraus eignete sich Max von Moos eine Technik an, die seinem Werk neue Dimensionen verleihen sollte. Der Schweizer Surrrealist (1903–1979) erkrankte bereits 1942 am grünen Star, und trotz Operationen wurde zehn Jahre später an beiden Augen der graue Star diagnostiziert, was weitere Operationen nach sich zog. Um 1970 konnte er die Feinheiten der Tuschfeder nicht mehr genügend wahrnehmen. So liess er sich mit Filzstiften unterschiedlicher Grössen und Dicken versorgen. Sie scheinen ihn zu Experimenten angeregt zu haben, etwa zu bislang kaum praktizierten Kombinationen der typischen figürlichen Motive mit abstrakten, teilweise ornamentalen Umgebungen oder Hintergründen. Oder in umgekehrter Weise zur Integration abstrakter Strukturen in einen gegenständlichen Kontext.
Dass sich das zeichnerische Schaffen mit zunehmendem Alter des Künstlers also nicht etwa verengt, sondern an Diversität gewinnt, ist bemerkenswert. Die Aneignung der neuen Filzstifttechnik war zwar medizinisch indiziert, aber gleichwohl stellt sich die Frage, woher von Moos die Anregungen zu seiner unverkennbar neuen zeichnerischen Experimentierlust empfängt. Wie schon zuvor bezieht er auch in seinem Alterswerk die Kraft weniger von aussen, etwa von den damals sich parallel entwickelnden Avantgardeströmungen, obwohl er diese durchaus interessiert verfolgt, sondern aus seinem Credo der Verpflichtung des Künstlers: „Es ist ein Fluch, im 20. Jahrhundert ein Maler zu sein“, verrät er 1973 seinem Biografen Hans-Jörg Heusser, „95 Prozent aller Maler [sind] Spezialisten, auch ein Titan wie Picasso ist im Erdrutsch drin. Dieser Erdrutsch ist unaufhaltsam. Mein ganzer Motivkreis liegt im Erdrutschgebiet. Ich bemühe mich sorgfältig zu malen, weil ich den Erdrutsch aufhalten will. Aber dass es nicht gelingt, ist eine ständige Quelle von Angst, Unruhe, verfehltem Leben.“ Aus einem solchen Blickwinkel heraus gibt es kein Ende, die Aufgabe des Künstlers ist nie erfüllt, im Gegenteil: Es droht gegen Ende des Lebens die bittere Erkenntnis, alles sei gescheitert. So malt von Moos – nicht unähnlich Picasso – „gegen die Zeit“. Seine Produktion ist immens, und die Zeichnung gewinnt an Bedeutung, da er die Malerei ab 1972 ganz aufgeben muss.
Erst recht dient jetzt die neue Filzstifttechnik als Ersatz. Von Moos kreiert die mittelformatigen „Schwarzen Bilder“, mit denen er nahtlos an seine Malerei anknüpft. Er nimmt deren Themen auf und nutzt die Farbe Schwarz, um noch düsterere Stimmungen zu hervorzubringen, als wir sie von seinen Gemälden her kennen. 1973 zeichnet seine rastlose Hand in dieser Schwarztechnik, hie und da aufgelockert durch die Verwendung eines roten und eines blauen Stiftes, Dutzende kleinere Blätter, die er einheitlich in breite schwarze Rahmen fassen lässt. Alles kommt nochmals an die Oberfläche, von den Figuren und Köpfen bis zu den Chiffren und Strukturen, sodass diese Bilderserie zu einer Art Rückblick, zu einer Zusammenfassung seines Lebenswerks, ja geradezu zu einem Vermächtnis gerät. Altersmilde ist nicht seine Sache, Versöhnung findet nicht statt, die schwarzen Bilder sind der unerbittliche Blick eines grossen Künstlers auf eine unerbittliche Welt.
Peter Fischer