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Verena Loewensberg, Ohne Titel, 1950
Öl auf Leinwand, 65 x 65 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Parfums Nina Ricci Schweiz
Copyright: Nachlass Verena Loewensberg, Henriette Coray Loewensberg, Zürich
Fotocredit: Jörg Müller

In ihrer mehr als fünfzigjährigen Tätigkeit als Künstlerin hat Verena Loewensberg (1912–1986) rund 650 Gemälde und eine Vielzahl von Papierarbeiten geschaffen. Der Werkkorpus zeugt von einem breiten Ideenspektrum und einem individuellen Umgang mit den Prämissen der konstruktiv-konkreten Gestaltung. Zu Recht gilt die zum Kreis der Zürcher Konkreten gerechnete Künstlerin daher als eine der wenigen bedeutenden weiblichen Vertreterinnen dieser rational und methodisch konzipierten Kunst.

Bereits 1945, ein Jahr nachdem sie die Technik der Ölmalerei für sich entdeckt hat, wird Loewensbergs Eigenständigkeit sichtbar und es zeichnet sich das von an- oder absteigenden Zählsequenzen und verschiedensten rhythmischen Anordnungen bestimmte Bilddenken ab, das ihr Schaffen fortan charakterisiert. Bis etwa 1959/60, als die Künstlerin in Werkfolgen zu arbeiten beginnt und zugleich zu einer grosszügigeren Flächen- und Farbbehandlung übergeht, stellt dabei fast jedes Werk eine einzigartige Findung dar. Bild für Bild ist zu beobachten, wie das eben noch erprobte Zusammenspiel selbst erstellter Regeln komplett andere Gestalt annimmt oder wie umgekehrt die Untersuchung äusserlich ähnlicher Erscheinungen auf der Grundlage einer ganz anderen Bildstruktur erfolgt.

Zu den wenigen im ersten Schaffensabschnitt wiederholt aufgegriffenen Konzepten gehören kreuzförmige Strukturen und die Beschränkung auf Schwarz-Weiss. Das vorliegende, dem Aargauer Kunsthaus 1996 im Nachgang zur Ausstellung „Karo Dame“ geschenkte und noch im gleichen Jahr in „Neue Konstellationen. Andere Konstellationen“ abermals gezeigte Werk von 1950 vereint beides. Zudem ragt es unter den frühen, eher kleinteiligen Arbeiten als eines der markantesten und zugleich elementarsten heraus.

Als Ausgangspunkt lässt sich ein schwarzes Kreuz in der Bildmitte denken. Seine Arme sind gleich lang und stark, die Achsen weisen das Verhältnis 10:1 auf. Aus der Längs- und Querachse dieses Kreuzes hat Loewensberg je ein Teilstück herausgelöst und die beiden Segmente um je eine Einheit nach links und nach unten versetzt. Die Raffinesse der so geschaffenen Figur liegt im Umstand, dass die verbliebenen Endstücke der Kreuzarme eine Progression bilden, die im Gegenuhrzeigersinn die Werte 1, 2, 3 und 4 aufweist. Da die Arme – von den Enden zur Mitte gezählt – je 4 ½ Einheiten lang sind, ergeben sich rund um das leere Zentrum allseits Restwerte von je einem halben Element. Dies hat unterschiedliche Effekte zur Folge, etwa die optische Freistellung des Abschnitts mit dem Wert 3 oder die Entstehung einer symmetrischen Lücke links und rechts des versetzten vertikalen Teilstücks. Schliesslich hat Loewensberg den Drehpunkt des gesamten Gebildes aus der Mitte des Leinwandquadrates um ebenfalls je eine halbe Einheit nach links und nach unten verlagert (die entsprechende Übergewichtung des unteren linken Bildquadranten lässt sich an den Abständen der Kreuzenden zu den Bildkanten leicht überprüfen). In der Summe ist so eine spannungsreiche Dislokation entstanden, die den Formfindungsprozess – getreu der Forderung nach einer objektiven Kunst – nie verhüllt, ihn aber auch nicht überdeutlich demonstriert.

Astrid Näff

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