Aluminium, weiss bemalt, 120.5 x 120.5 x 18 cm
Nelly Rudin (1928–2013) war 1995 im Aargauer Kunsthaus an der Ausstellung „Karo-Dame“ beteiligt, eine damals viel beachtete, von Beat Wismer kuratierte Ausstellung über „konstruktive, konkrete und radikale Kunst von Frauen von 1914 bis heute“. Das Ziel der Ausstellung war es, den wichtigen Beitrag von Künstlerinnen an der geometrisch-abstrakten Kunst aufzuzeigen. Dass das Werk von Nelly Rudin eine wichtige Position in der konkreten Kunst einnimmt, zeigte sich nicht nur in dieser Einbettung in das Feld der weiblichen Exponentinnen, sondern auch anlässlich der grossen Einzelausstellungen, die im Haus Konstruktiv in Zürich (2000), im Josef Albers Museum in Bottrop (2001) und im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen (2002) stattfanden.
Trotz der Verbindung von Nelly Rudin zum Aargauer Kunsthaus, war die Künstlerin bisher in unserer Sammlung nicht vertreten. Es freut mich daher besonders, dass durch eine grosszügige private Schenkung diese Lücke nun geschlossen werden kann und Nelly Rudin mit einer bedeutenden Arbeit im Kunsthaus dauerhaft präsent ist.
Die aus Basel stammende Künstlerin, besucht in ihrer Heimatstadt die Gewerbeschule und lässt sich zur Grafikerin ausbilden. Durch ihren Lehrer, den Plastiker Walter Bodmer (1903–1973), kommt sie bereits mit dem Werk von Max Bill (1908–1994) in Kontakt. In den 1950er-Jahren siedelt Nelly Rudin nach Zürich über. Sie arbeitet zuerst noch als Grafikerin, um dann 1964 mit ihrem malerischen Werk zu beginnen. Ihre frühen künstlerischen Arbeiten stehen noch unter dem Einfluss des von ihr mitgeprägten „Swiss Graphic Design“ und sind einer reduzierten, konkreten Formensprache verpflichtet. Nelly Rudin gehört zusammen mit Max Bill, Camille Graeser (1892–1980), Paul Richard Lohse (1902–1988), Verena Loewensberg (1912–1986) und Carlo Vivarelli (1919–1986) zum so genannten „Sextett der Konkreten Kunst“. Ihre unverwechselbare, ganz eigenständige künstlerische Handschrift entwickelt Nelly Rudin dann durch ihre seit den 1970er-Jahren entstandenen räumlichen Arbeiten. Der Einfluss der Zürcher Konkreten tritt Mitte der 1970er-Jahre in den Hintergrund, als Nelly Rudins Werke ins Räumliche vordringen. Es entstehen quadratische und dreieckige Bildobjekte. Ab 1982 verwendet die Künstlerin für ihr plastisches Schaffen auch Acrylglas. Die durchsichtigen Objekte appellieren auf raffinierte Weise an das Wahrnehmungsvermögen der Betrachtenden. Das Thema der Transparenz und des Lichts spielen im Schaffen von Nelly Rudin allgemein eine wichtige Rolle, letzteres gilt insbesondere auch für den Sammlungsneuzugang „Ohne Titel (no. 47)“ (2000). Das Objekt aus Aluminium gehört zur Werkgruppe der Rahmenobjekte, mit der sich die Künstlerin seit den 1970er Jahren beschäftigt. Während die frühen Rahmenobjekte mit Farbe bearbeitet wurden und flach auf der Wand auflagen, ist die Oberfläche des Werkes in unserer Sammlung in reinem Weiss gehalten. Die Seiten des hochkant gehängten Quadrats sind jeweils in der Mitte geknickt, sodass sich die Ecken von der Wand lösen. Die Rahmenobjekte stellen radikale und absolut eigenständige Erfindung der Künstlerin dar. Der Rahmen wir nicht ins Bild einbezogen, wie man es auch von anderen Kunstschaffenden kennt, sondern wird selber zum Werk. Nelly Rudin formulierte es wie folgt (2000): „Die Aluminiumobjekte erlauben mir, das Bildhafte von der Fläche (Wand) in den Raum zu transponieren. Dort, wo sonst das Bild „stattfindet“, ist Leere, und umgekehrt ist dort, wo der Rahmen ist, Bild.“
Madeleine Schuppli