Inkjetprint auf Japanpapier, 188 x 140 cm
Cécile Wick (*1954) ist unter den Schweizer Kunstschaffenden, die sich bevorzugt der Fotografie bedienen, die Poetin des Fachs. Ihre Werke zeigen vorwiegend Naturmotive und Landschaften und sind als solche zunächst einmal Teil des fotografischen Kanons. Das präzis registrierende, rein mechanische Verhältnis der Fotografie zur Welt wird von der Künstlerin jedoch konstant unterlaufen. Ohne sich vom Sichtbaren abzuwenden, verschliesst sie sich schon früh dem Dokumentarischen und Narrativen und begegnet dem Topos des eingefrorenen Moments mit langsamen Verfahren wie dem gleichsam performativen Belichten einer zehn Meter langen Bildrolle oder dem stundenlangen Sich-Einschreiben der Umgebung im feinen Lichtstrahl einer Camera obscura. Zum Aspekt der gedehnten respektive verdichteten Zeit gesellt sich eine auffallend sinnliche Qualität der Abzüge, die sich unter anderem über gewollte Unschärfe, ein breites Spektrum an speziellen Papieren, den experimentellen Umgang mit Entwickler und Fixierer, die tendenziell zartblasse Farbigkeit und eine Vorliebe für die Heliogravur und ähnliche, viel Handarbeit voraussetzende Techniken vermittelt. Das Ergebnis dieser künstlerischen Herangehensweise ist die erwähnte lyrische Anmutung, die sich – bei allen Unterschieden – als eine Form von zeitgenössischem, kritisch angetriebenem Piktorialismus auslegen lässt, verbunden mit einem wachen Nerv für die kreative Umwertung der Ästhetik der neuen, digitalen Bildproduktion.
Die Arbeit „Rosegg“, mit der Cécile Wick nebst anderen Werken im Aargauer Kunsthaus vertreten ist, weist alle Anzeichen dieser malerischen Weltsicht auf. Sich einschreibend in die lange Tradition der Gebirgsdarstellung, gibt sie den titelgebenden Ort in typisch fotografischer Ausschnitthaftigkeit wieder und zeigt dabei nicht mehr – aber auch nicht weniger – als die nackte Felswand, über die sich die letzten Ausläufer eines Bergwaldes erstrecken. Dunkel heben sich die Nadelhölzer und einzelne blanke Felsstellen vom Weiss des Schnees ab, während es im obersten Bilddrittel umgekehrt zu Eis erstarrte Wasserfälle und Rinnsale sind, die sich hell durch das in feine Graustufen übersetzte Gestein ziehen. Die Beschränkung auf die Mittel der Schwarzweiss-Fotografie steht hier weitgehend im Einklang mit den Eigenfarben des Motivs. Der gegebenen Situation wird also kaum etwas weggenommen, sondern vielmehr eine gewisse Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit beigefügt. Daran hat auch die Wahl des hauchdünnen Japanpapiers als Bildträger Anteil: In Abgrenzung zum technisch konnotierten Inkjetprint verweist es implizit auf den fernöstlichen Kulturraum und erinnert so zugleich an die Tuschemalerei, die auch von Cécile Wick seit langem parallel zur Arbeit mit Foto- und Videokamera praktiziert wird. Der dem Immateriellen, nicht ganz Fassbaren, Fliessenden und Veränderlichen zuneigende Charakter vieler ihrer Werke findet sein Echo aber auch im Entscheid, den Abzug nicht integral, sondern in 16 Teilen zu realisieren. Diese sind ohne Abstand so zu hängen, dass der leiseste Luftzug genügt, um den Block in Bewegung zu versetzen. Die im Wortsinn felsenfest gefügte Einheit der Bergwand wird so im gleichen Mass hinterfragt wie der nur schwer zu revidierende Glaube an den Illusionismus technisch erzeugter Bilder. Die entsprechend oft als Unikatserie angelegte Kunst von Cécile Wick erweist sich damit summa summarum als philosophischer Kursus über die Fotografie mit ihren eigenen Mitteln.
Astrid Näff