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Adolf Wölfli, Schähren=Hall und Schährer=Skt.Adolf=Ring (recto/verso: handgeschriebene Beschreibung), 1926
Buntstift auf Papier, 50 x 66.4 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau

Adolf Wölfli (1864–1930) ist längst zu einem Klassiker der Art brut und der Moderne geworden. Besonderes Augenmerk schenkt ihm Harald Szeemann 1972 anlässlich der documenta 5 in Kassel, als seine Werke in der Ausstellung „Individuelle Mythologien“ neben zeitgenössischen Kunstschaffenden präsentiert werden. Seither erstreckt sich das Interesse am Künstler und an seinem Œuvre über die Disziplin der Kunstgeschichte hinaus. Auch für psychiatrische oder musik- und literaturwissenschaftliche Forschungen ist sein einzigartiges Werk von Bedeutung.

Die vorliegende Zeichnung gehört in die Sphäre seines erzählerischen Werks „Von der Wiege bis zum Graab. Oder, durch arbeitten und schwitzen, Leiden und Drangsal, bettend zum Fluch“, das ab 1908 entsteht und das Kernstück von Wölflis fiktiver Autobiografie bildet. Die imaginäre Lebensgeschichte wird ihm bald wichtiger als seine reale Biografie: Wölfli stammt aus ärmsten Verhältnissen und erlebt seine Kindheit unter elendesten sozialen Voraussetzungen als Verdingbub. 1895 wird er aufgrund paranoider Schizophrenie in die Nervenheilanstalt Waldau eingewiesen, und er beginnt, sein Leben in einem gigantischen gezeichneten und geschriebenen Werk neu zu erfinden. In einer Verwebung von Schrift, Zeichnung, Mathematik und Musik schildert er Ereignisse aus dem Zeitraum zwischen 1866 bis 1872, die sich von seinem zweiten bis sechsten Lebensjahr abgespielt haben. Seine Autobiografie gleicht einem abenteuerlichen Reisebericht, in den er reale Begebenheiten einfliessen lässt und Erlebtes verarbeitet. Ab 1916 signiert er mit „Skt. Adolf II“ und versteht sich als Herr seiner „Skt.=Adolf-Schöpfung“. Einerseits bedeutet der Prozess harte Arbeit und gleicht einem Kampf, andererseits wird das künstlerische Schaffen Mittel zum Überleben.

In „Schähren=Hall und Schährer=Skt.Adolf=Ring“ hält der obsessive Zeichner in der Bildmitte eine nach links geöffnete blaue Schere fest. Sie ist von einer Rahmung mit abgerundeten Ecken eingefasst, an die weitere, unterschiedlich verzierte Umrandungen – von Wölfli „Ring“ genannt – anschliessen. Wiederkehrendes Motiv ist auch der „Glöggi-Ring“, wie beim Griff der Schere und „Schnecken“ oder „Vögeli“ – meist mit Augen und Ohren – die sich überall finden. Die Zeichnung bezeugt sein unverwechselbares Formenvokabular und seine typische Gestaltungsweise: Getrieben von einem Horror Vacui – einer Angst vor der Leere – ist das Blatt mit Gegenständen, Figuren und dekorativen Ornamenten zugezeichnet und jeglicher Zwischenraum getilgt.

Karoliina Elmer

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