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Christian Marclay, Surround Sounds, 2014-2015
4-Kanal-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton, 13' 40'' loop
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Christian Marclay
Fotocredit: René Rötheli

Mit bemerkenswerter Konsistenz bringt der schweizerisch-amerikanische Künstler Christian Marclay (*1955) seit den späten 1970er-Jahren Populärkultur und bildende Kunst zusammen. Inspiriert durch die junge Genfer Fluxus-Szene, erlangt er zunächst Bekanntheit als Performer und Experimentalmusiker, namentlich als Pionier des Turntablism. Darauf aufbauend, entwickelt er im Verlauf der 1980er-Jahre eine dem Sampling verpflichtete Werkpraxis, die sich Klängen jeder Art und ihrer Trägermedien in unkonventioneller Weise als plastisches Material bedient. Im Einklang mit dem postmodernen Schlagwort des «High and Low» formuliert er so eine bis heute weiterverfolgte Fragestellung, mit der er bezugsreich die Kultmomente der Unterhaltungsbranche umkreist.

Einen besonderen Schwerpunkt in diesem Themenfeld setzt die Onomatopoesie. Das Aargauer Kunsthaus widmet diesem Aspekt des Kommunizierens in Laut- und Klangbildern im Herbst 2015 die Ausstellung „Action“, deren Höhepunkt die museale Erstvorführung der aufwendig produzierten und installierten Vierkanalprojektion „Surround Sounds“ ist. Mit grosser Geste und stupender Präzision orchestriert der Künstler in dieser raumfüllenden Arbeit eine computergestützt animierte Montage tausender von Cut-outs aus Comics, deren Pointe darin besteht, dass jedes der Klangwörter situativ durch passende Bewegung und Rhythmik in die mit ihm assoziierte Dynamik zurückübersetzt wird. Wie bei einem klug variierenden, mitreissenden Soundtrack erlebt der Betrachter die Wort gewordenen Klänge dank dieser typografischen und szenografischen Reaktivierung in stetem Wechsel der Tempi, Ton- und Stimmungslagen. Sieht er sich eben noch einem sanften Wellengang – «SPLOOSH» – oder einem rhythmisch auf Bodenniveau den Wänden entlang wandernden «TAP TAP TAP» gegenüber, so erreicht ihn vielleicht schon im nächsten Moment ein donnerndes «BAM!» oder «WHOOOOOM!» Unheilvoll über die Fläche kriechende «KRAK» künden ein Erdbeben in Form eines anhaltenden «RRRRUMBLE» an, während wenig später bereits wieder neckische «BEEP» und «BLIP» aus dem Dunkel hervorblinken und sich in kühnem Crescendo zu einem chaotischen, grossstädtischen Lärmteppich verbinden.

Umbrandet von akustischen Reizen gibt man sich dem bunten Spektakel willig hin und lässt vor dem inneren Auge ganze Filmskripts entstehen. Intuitiv verständliche Szenen vermengen sich dabei mit Passagen, die sich individuell mit neuer Bedeutung anfüllen lassen oder je nach Vorwissen auch die Lust am Aufdecken historischer Referenzen wecken – beispielsweise auf Marcel Duchamps „Anémic Cinéma“ (1926) als einer der frühesten animierten Wortsequenzen dieser Art. In ständigem Crossover offeriert der Zeichenfluss auf diese Weise ein grossartiges synästhetisches Erlebnis, das so immersiv und anregend ist, dass so mancher wohl erst beim Verlassen des Raumes merkt, wie spontan er die Tonspur zu seinem Film entgegen dem Werktitel in völliger Stille, allein kraft der Vorstellung, zum Erklingen gebracht hat.

Astrid Näff

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