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Doris Stauffer, Tastsäcke, 1970
Stoff (Fahnenstoff), diverse Objekte aus .....? (5 Stoffbeutel aus blauem Fahnenstoff, gefüllt mit diversen Objekten), ca. 20- 100 x 40 x 40 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Doris Stauffer
Copyright: Nachlass Doris Stauffer
Fotocredit: ullmann photography (Timo Ullmann)

Die Tätigkeit der Künstlerin, Aktivistin, Pädagogin, Hausfrau, Hexe Doris Stauffer (1934-2017) ist vielseitig: nach einer Ausbildung als Fotografin, der Heirat mit Künstler und Kunstpädagoge Serge Stauffer, gemeinsamen Kindern, entsteht bald ein feministisch geprägtes künstlerisches Werk, aus dem ein langjähriges und folgenreiches Engagement innerhalb der von ihr mitgegründeten FBB (Frauenbefreiungsbewegung) hervorgeht. Ab 1969 unterrichtet sie an der Kunstgewerbeschule Zürich den Kurs „Teamwork“, der auf Wahrnehmung, Sensibilisierung und Selbsterfahrung angelegt ist, in dem sie gemeinsam mit ihren Studenten Experimente, Aktionen in- und ausserhalb des Klassenzimmers unternimmt. Da für die Schulleitung ihr radikal pädagogischer Ansatz zu experimentell und subversiv ist kommt es zur Kündigung. Nach Protesten, Aktionen und viel Presseaufmerksamkeit gründet sie gemeinsam mit anderen Künstlern 1971 die alternative, experimentellen Kunstschule „F+F“. Es folgen „Hexenkurse“ für Frauen, zahlreiche Texte und Gedichte – und danach viele Jahre der Stille um Doris Stauffer. Diese fehlende Sichtbarkeit liegt einerseits in der schweren Kategorisierbarkeit ihres Schaffens, in welchem sich die Tätigkeitsfelder oft überkreuzen, teils in Gemeinschaftsarbeit entstehen und nicht zuletzt politisch unangenehm und oft brisant sind. Jüngst findet jedoch die farbenfrohe, humorvolle und engagierte Arbeit von Doris Stauffer wieder vermehrt Gehör und bietet nach wie vor Anknüpfungspunkte für aktuelle gesellschaftliche und künstlerische Fragestellungen. Nach der Publikation einer umfassenden Monographie wird ihr 2015 der Kulturpreis Zürich verliehen. Ihr Archiv wird gemeinsam mit demjenigen ihres Mannes in der Nationalbibliothek in Bern aufgearbeitet. 2019 erhält sie die erste institutionelle Einzelausstellung im Centre culturel suisse und einen Dokumentarfilm.

Das aussergewöhnliche und vielschichtige Werk „Tastsäcke“ (1970) besteht aus fünf Säcken, die von der Decke hängen. Sie sind im besten Sinne als „unförmig“ zu beschreiben. Den leuchtendblauen Fahnenstoff beulen von innen unsichtbare Gegenstände aus. Spitze Winkel, weiche Rundungen, dunkle Einbuchtungen und Falten entstehen in dem darüber gespannten Stoff, der teils glatt, teils eher schlecht als recht zusammengerafft und genäht ist. In unterschiedlichen Höhen an der Decke festgemacht, bilden sie eine offene und bewegliche Gruppe. Bei jeder Berührung drehen sich die Säcke an den Nylonseilen. Die Betrachterinnen dürfen sich den Säcken tastend annähern, um deren Beschaffenheit zu erleben: weich, dem Druck nachgebend (Kissen mit kaputter Puppe), steif und vertikal in einer gespannten Hülle (Stativ), massiv, schwer und als reduzierte Form einen Konzentrationspunkt in der Konstellation bildend (Holzkugel). Während die eingepackten Dinge zu einem Ratespiel verleiten, steht für Doris Stauffer das sinnliche, erforschende Wahrnehmungserlebnis selbst im Vordergrund. In der Verwendung von Haushaltsgegenständen knüpft sie an ihre Assemblagen der 1960er-Jahre an und deren dezidiert feministische Reflexion der sozialen und politischen Zwangssituation der Frau. Das Werk entsteht für eine Ausstellung in der Kunsthalle Bern, welche die gesamte „F+F“ präsentiert und unter dem Motto einer prozesshaften Veränderung stattfindet: „Gestalterische Forschung, Experiment! Forschung und Experiment bedingen ein ‚Engagement’ in Richtung Veränderung (…). Wer verändert ist schöpferisch; wer stagniert, ist ‚tot’“, so das im Saalblatt postulierte Credo.
Die „Tastsäcke“ finden in der Kunsthalle Bern einen äusserst treffenden Kontext: 1968 wird die Institution von Christo komplett eingepackt und 1969 von Harald Szeemanns legendären, nicht minder skandalösen Ausstellung „Live in Your Head: When Attitudes Become Form“ bespielt. Doris Stauffers partizipative Hängeskulptur ist also durchaus in Relation mit diesen raumgreifenden Installationen und post-minimalen Ansätzen zu sehen, die mit weichen, textilen und prozesshaften Gestaltungen operieren.

Claire Hoffmann

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