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Rudolf Urech-Seon, Tropfencomposition, 1948
Öl auf Leinwand, 101 x 75.5 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau

Nachdem der 1876 in Seon (Kanton Aargau) geborene Rudolf Urech-Seon (1876–1959), sich seit 1895 besonders vom deutschen Impressionismus und Ferdinand Hodler (1853–1918) hat inspirieren lassen und in dieser Zeitspanne vor allem naturalistische Landschaften malt, konzentriert er sich im Laufe der 1920er-Jahre in seinen Kompositionen auf konstruktive Elemente wie Linie, Fläche und Rhythmus. Dabei entstehen abstrakte Gemälde und Zeichnungen, welche den Bezug zu seinem Schaffensort, dem Aargauer Seetal, weitgehend aufrecht erhalten. Das Gesehene reduziert der Maler jedoch auf geometrische Grundflächen: Bäume werden zu Dreiecken, Felder zu Rechtecken, Hügel zu gezackten oder kompakten Rundformen. Mit dieser Formensprache gilt der Künstler als der erste Kunstschaffende überhaupt, welcher sich im Kanton Aargau der Abstraktion verschreibt. Um sich vom gleichnamigen Grafiker Rudolf Urech (1888–1951) abzuheben, fügt er nach Abschluss seiner Ausbildung an der Münchner Kunstakademie im Jahr 1916 seinem Namen den Zusatz „-Seon“ hinzu. Die abstrahierenden Bilder des Künstlers führen in seiner Umgebung vor allem auf Unverständnis und der Maler bleibt zeitlebens ein Aussenseiter. Der Malerkollege Paul Eichenberger (1891–1984) – damals Präsident der lokalen Künstlervereinigung „GSAMBA“- schreibt Urech-Seon dazu in einem Brief: „Ich kann nicht recht verstehen, warum Sie immer auf diesem orts- und rassenfremden Pegasus herumreiten.“

Formal und inhaltlich bilden die Werke nach dem Krieg den Übergang zur freien Komposition, zu welcher Urech-Seon um 1948 gelangt. Das Gemälde „Tropfencomposition“, welches in diesem Jahr entsteht, gehört zu diesem Alterswerk, welches ein Höhepunkt des künstlerischen Schaffens des Künstlers bildet. Nach der Verarbeitung des Geschehenen während des Zweiten Weltkrieges und damit der Einführung von kürzelhaften Bildzeichen und surrealistisch anmutenden Figuren in seiner Bildsprache, entstehen ab 1945 Gemälde und Zeichnungen mit geometrischen, rund geschwungenen Formen und dies meist in leuchtendem Kolorit. Die in dieser Zeit entstandenen Bilder, so auch die „Tropfencomposition“, sind meist reduziert auf fünf Farben: Cadmiumgelb, dunkles Ultramarinblau, Vert Emeraude, Cadmiumrot und ein Lila.

Im Werk „Tropfencomposition“ verbindet der Künstler kompositionell seine in den1930er-Jahren entwickelte geometrische Formensprache mit organischen Formen der 1940er-Jahre. In den meisten Werken, welche ab 1945 entstehen, haben einzelne formale Elemente weiterhin einen konkreten Gegenstandsbezug, nur wenige Bilder sind gegenstandslos: Einzelne Formen erinnern an bereits früher, in naturalistischen Arbeiten benutzte Landschaftselemente. Oder Bildtitel interpretieren die Bildkompositionen; letzteres gilt auch für die „Tropfencomposition“: Das Bild zeigt flache, geschwungene Formen ohne Ecken und Kanten. Die Malerei entbehrt zwar räumlicher Tiefe, jedoch ist eine Leserichtung und eine gewisse Räumlichkeit festzumachen, ausgelöst durch die bewegt wirkenden roten „Tropfen“ im Bildmittelgrund. Der zwar sehr deckende, jedoch äusserst sparsame Farbauftrag in dünnen Malschichten verstärkt wiederum den Eindruck zweidimensionaler Flächigkeit; die Dreidimensionalität der runden Formen entsteht nur im Kopf des Betrachters und ist weder durch Konturen noch Schatten angedeutet.

Mit den Worten Urech-Seons ausgedrückt muss ein Motiv „in Linien und Formen etwas sagen, […] dazu kommen Rhythmen, Systeme, Strukturen und Bewegung. Was die meisten Maler in der Natur sehen, liess ich liegen und suchte neue Schönheiten und fand sie auch“.

Christian Herren

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