Verspiegelte Glasvitrine mit Kleinplastiken, Maquetten, Sammelobjekten und Fundgegenständen, Vitrine 114 x 142 x 21 cm
77 Objekte finden sich in und auf Katharina Sallenbachs (*1920) „Vitrine“ versammelt, dem Tastsinn entzogen, doch rundum einsehbar präsentiert. Sukzessive ergänzt, zeichnen sie quasi das Lebenswerk der Zürcher Bildhauerin nach, insbesondere die Entwicklung seit den 1950er-Jahren, als die Künstlerin nach figürlichen Anfängen zu einer lyrisch-abstrakten Bildsprache fand. Unterscheiden lassen sich eigene Werke, die zur Hauptsache Entwürfe, aber auch ausgearbeitete Kleinplastiken umfassen, sowie Fund- und Sammlerstücke, die zumeist dem Bereich der Natur entstammen. Im Nebeneinander von „naturalia“ und „artificialia“ klingt das Konzept der Wunderkammer an, womit implizit auf das Urmodell allen Ausstellens verwiesen ist.
Den Grundton geben die zuunterst in der Auslage konzentrierten Naturobjekte an: Kristalle, Sandrosen, Versteinerungen, das Gehäuse einer Molluske…: Mineralisches und gehärtet Organisches also, wie es in Form von Kubus und Kugel auch Sallenbachs Œuvre durchzieht. Kristalline Strukturen, Brüche, Spalten, Aushöhlungen und Verschiebungen prägen ihr Schaffen der 1960er-Jahre, wie etwa der Gips-Bozzetto links auf dem obersten Regal zeigt. Um 1970 wird der sphärisch verzogene Würfel zur bevorzugten Form, eng verknüpft mit dem Thema der Teilungen, bei dem weich ondulierende Binnenflächen mit dem kantigen Äusseren kontrastieren. Im Innern dieser zerlegbaren Objekte verborgene Kugeln werden in den Folgejahren freigelegt und entwickeln sich im Spätwerk zum bestimmenden Motiv. Von dieser jüngsten Phase, in der nebst Klangkörpern und Umsetzungen zum Thema Schale und Kern vor allem Flechtstrukturen entstehen, lässt sich anhand der Maquetten aus Draht und Styropor, die an mathematische Modelle erinnern, ein Eindruck gewinnen.
Einer eigenen Kategorie gehören die Figurinen und der Türklopfer an, die teils das Frühwerk, vor allem aber die von 1977 bis 1990 in S. Stefano in der Toskana geschaffenen, mit ihren Bezügen zu Götter- und Ritterwelten der Gegenwart weit entrückten Terrakotten evozieren. Den Zürcher Arbeiten sind sie vordergründig fremd, doch zeugen sie letztlich nur deutlicher von Sallenbachs Offenheit für Spirituelles.
Im Initialenblock unten rechts scheint die Vitrine schliesslich „monogrammiert“ und „dediziert“ (RB steht für den Musiker Rudolf Baumgartner, Sallenbachs Ehemann). Mehr als ein zufälliges Indiz für ihre Bedeutung als persönlicher Inspirationskosmos sollte darin jedoch nicht gesehen werden, denn den Status eines Werks erlangte die primär dem Schutz der fragilen Kleinobjekte dienende Ateliervitrine erst auf äusseren Anstoss hin. Dass das Aargauer Kunsthaus sie aus Anlass des 90. Geburtstags der Künstlerin auf Vermittlung von Jan Jedlička als Schenkung entgegennehmen durfte, muss umso mehr als glückliche Fügung gewertet werden. So ist Sallenbach nicht nur unversehens mit ihrem „Gesamtwerk“ präsent, sondern überdies mit einem Objekt, das auf der Ebene der Geschichte des Sammelns und Vermittelns – man denke nur an Duchamps Koffer oder an die Vitrinen in der Surrealistenausstellung 1936 in Paris – ebenso reich an Assoziationspotential ist, wie es auf anregende Art das Tastende und Bricolagehafte des Entwurfs mit einer als gültig akzeptierten Form, den Einblick in die Werkgenese mit der Kompaktfassung einer Werkretrospektive vereint.
Astrid Näff