Öl auf Leinwand / Oil on canvas, 32 x 25.5 cm
Wer die Geschichte der vergangenen beiden Jahrzehnte dieses Hauses überblickt, erkennt leicht, wie präzis die Sammlertochter und Sammlerin überlegt hat, als sie die Aargauische Kunstsammlung respektive den Kunstverein anlässlich meines Abschieds mit dem Werk Equilibre von Sophie Taeuber-Arp (1898–1943) beschenkt hat. 1989 konzipierten wir, Stephan Kunz und ich, die Retrospektive zum 100. Geburtstag der grossen Schweizer Künstlerin. Bis zu diesem Zeitpunkt besass unser Haus noch kein einziges Werk der wichtigen Konstruktivistin, heute gehört ihre Werkgruppe, auch dank eines umfassenden Depositums, zu den Schwerpunkten der Sammlung. Die Werkgruppe umfasst alle Facetten ihres Schaffens, von kunsthandwerklichen Entwürfen und finalen Zeichnungen über dadaistische Objekte und Gewänder bis hin zu Hauptwerken der Gemälde und einem Relief.
1993 zeigten wir die thematische Ausstellung „Equilibre“, welche sich, so der Untertitel, „Gleichgewicht, Äquivalenz und Harmonie in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ widmete, von den Gleichgewichtsutopien der klassischen Moderne, von Piet Mondrian (1872–1944) und Kasimir Malewitsch (1879–1935), über Jean Tinguely (1925–1991) und Alexander Calder (1898–1976) bis hin zu Richard Serra (*1939) und Bruce Nauman (*1941) und den postmodernen equilibristischen Kunststücken von Fischli/Weiss. Den Titel hatten wir einer Werkgruppe von Sophie Taeuber entliehen. Taeubers Ölbildchen mit diesem Titel hatten wir sowohl für ihre Retrospektive wie auch für die thematische Ausstellung ausleihen dürfen.
Entstanden ist es 1931, zu Beginn jenes Jahrzehnts, an dessen Ende die traumatische Katastrophe des 20. Jahrhunderts die Utopien der Moderne für lange Zeit zerschlagen sollte. Davon aber, vom Glauben der Moderne an eine neue, auf den Gesetzen von Harmonie und Gleichgewicht aufzubauenden Welt, zeugt und berichtet dieses Bild. Sehr ähnlich wie bei den gleichzeitigen klassischen Werken von Piet Mondrian meint auch hier Gleichgewicht nicht Symmetrie, sondern subtil austarierte Äquivalenz, ein harmonisch ausbalanciertes Verhältnis von verschiedenen (Bild-)Gewichten. Trotz seines kleinen Formats – kaum grösser als DIN A4 – ist dieses Bild nichts weniger als eine Ikone der klassischen Moderne und ihres Glaubens an eine bessere zukünftige Welt sowie der damals noch festen Überzeugung, dass die Kunst dazu einen Beitrag liefern könnte. Das kleine Bild bedeutet einen wunderbaren Gewinn für die Sammlung. Der Donatorin, die mit dieser Schenkung ihrer Anerkennung unserer Arbeit ebenso grosszügig wie feinsinnig Ausdruck verliehen hat, gebührt grosser Dank.
Beat Wismer