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Sylvie Fleury, Concetto Spaziale, 1993
Jeansstoff, 145.8 x 113.7 x 3 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Sammlung Ringier, Schweiz
Fotocredit: Sammlung Ringier

Mit einer Handvoll Shopping Bags, die sie samt ihrem teuren Inhalt wie beiläufig am Boden abgestellt hatte, feierte die Genfer Künstlerin Sylvie Fleury (*1961) an der Seite von John M. Armleder und Olivier Mosset im Showroom von Jacqueline Rivolta in Lausanne 1990 ihr Debüt. Nonchalant umging sie damit die Regeln der Kunstproduktion und setzte mit ihrer zunächst als girly missverstandenen Geste eine wegweisende Marke. Indem sie das Werk nach einem in den Tüten enthaltenen Parfüm von Christian Lacroix mit „C’est la vie“ betitelte, resümierte sie nicht nur ihr eigenes, alltagsnahes Vorgehen. Mit ihrem Bekenntnis zur Verführungsmacht profaner Dinge verlieh sie auch dem Ready Made einen weiblichen Twist und erweiterte Duchamps Methodik zu einem post-appropriativen Zitieren.

Dutzende weitere Installationen mit Shopping Bags sollten folgen, und auch Kosmetika und Parfüms blieben zentral. Daneben begeisterte sich Fleury zum einen für die Welt des Car Racing und Tuning. Zum andern tätigte sie fortan oft auch Anleihen bei der Hochkunst, die sie durch mehrfaches Crossreferencing mit ihrem Kernthema eines von Luxus und Glamour, später auch von Customizing geprägten Lifestyles verband. Wie der Künstler, Kurator und Medientheoretiker Peter Weibel schon 1993 festhielt, bewies sie dabei eine Tendenz zum „Verändern der harten Ästhetik von Männern mit weichen weiblichen Materialien“. Hinzu kam ein Hang zu sinnlichen Farben wie beispielsweise den Lippenstiftnuancen der Saison.

Nicht selten wich Fleury einer derart unverhohlen oberflächlichen Umwertung ins Weibliche aber auch aus. Exemplarisch dafür ist die Serie der „Concetti spaziali“, mit der die Künstlerin die „Buchi“ und „Tagli“ des italienischen Nachkriegspioniers Lucio Fontana zitiert. Mit dem Begriff „Concetto spaziale“ hatte Fontana 1947 erstmals seine Idee eines grenzenlosen Raums jenseits der flächigen Darstellung formuliert. 1949 begann er seine Bildträger deshalb zu durchstechen und ab 1958 auch mit vertikalen Schnitten zu versehen, um zu vermitteln, dass ein Bild weder ein Illusionsraum noch ein fix an einen Malgrund gebundenes Konzept ist. Diesen Gestus des Italieners griff Fleury 1993 eins zu eins auf. Und wie Fontana, der eine immense Anzahl solcher Werke schuf, variierte auch sie das Prinzip in einer grösseren, offen angelegten Unikatserie. Distanz zum historischen Vorbild gewann sie, indem sie die Perforationen auf Jeansstoff vollzog. Damit übertrug sie Fontanas bildphilosophisch bedeutenden, handwerklich dagegen eher trivialen Ansatz in die von ihr besonders eng umkreiste Sphäre der Mode. Mit der Wahl von Denim entzauberte sie den Akt des Bildermachens. Gleichzeitig bediente sie sich eines Materials, das geradezu Kultstatus geniesst und vom cool posierenden Cowboy bis hin zum Girl im lässigen, emanzipierten Boyfriend Cut diverse innere Bilder weckt. Dass die Jeans Europa zeitgleich mit Fontanas Kunstrevolution eroberte und die Modewelt inzwischen auch den Destroyed Look kennt, sind verklammernde anekdotische Details. Dasselbe gilt für den Umstand, dass das Blau in Fleurys Farbuniversum vergleichsweise diskret ausfällt, während Fontana die Monochromie seiner Werke ab der Mitte der 1950er-Jahre gern mit Glitzereffekten in Form von applizierten Glassplittern, Edelsteinen oder Gold- und Silberfarbe durchbrach.

Astrid Näff

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