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Judith Albert, Berg, 2016
06' 00''
Aargauer Kunsthaus, Aarau / Schenkung der Künstlerin
Copyright
Fotocredit: Ralph Kühne

In den 1990er-Jahren etablieren sich Videoarbeiten endgültig in der Kunst und werden nach den konzeptuell geprägten Anfängen zunehmend populär. Judith Albert (*1969), die sich während ihres Studiums mit Skulptur, Zeichnung und Schrift beschäftigt, entdeckt 1994 das Medium Video für sich. Vom ersten Augenblick an ist sie von der Videokamera begeistert und beginnt autodidaktisch damit zu experimentieren. Bis heute liegt der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Praxis auf diesem Medium. Dabei interessiert sich Albert für das scheinbar Zufällige, das Unscheinbare, Unspektakuläre, Alltägliche, das die Künstlerin in poetischen Stimmungsbildern in ihre eigene Sprache übersetzt. Sie hält Ausschnitte des Realen fest und fügt ihnen eine zeitliche Dimension hinzu, oft in Form eines Loops. Durch technische Eingriffe geht die Künstlerin mit Zeit verschieden um, im Sinne von Verlangsamung, Aufhebung oder gar Umkehrung. Dabei scheint das Gesehene leicht verfremdet und lässt die Vielschichtigkeit der Realität spürbar werden.

In der Videoarbeit „Berg“ (2016) ist eine vermeintlich verschneite Landschaft zu sehen. Wie durch ein Fernrohr blicken wir auf einen Berggipfel. Vergeblich warten wir auf die grosse Erzählung oder den dramaturgischen Höhepunkt. Das entschleunigte Tempo erzeugt eine anregende Spannung. Das Video lädt zur Kontemplation im Schneegestöber ein. Ruhe und Konzentration sind gefragt, um sich auf die Bilder mit intimem Charakter einzulassen und in die stille Atmosphäre des Naturphänomens einzutauchen. Judith Alberts Kunst nimmt sich Zeit und lässt Zeit zum Nachdenken – so zum Beispiel über den Rhythmus der Natur, ihre Gesetzte, ihre Kraft und ihre Fragilität. Technisch entscheidet sich die Künstlerin in ihrem Schaffen meist für eine statische Kameraeinstellung und verzichtet auf Schnitte in der Endbearbeitung des Materials, so auch in der Arbeit „Berg“. Der Fokus und die Nähe der Kamera zum Motiv lassen die Landschaft ungewöhnlich plastisch erscheinen. Der Videoprojektion ist eine Haptik eigen, die den Schnee fast greifbar macht.

Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Berg als eine Hand im Mineralwasser, die sich von Zeit zu Zeit leicht bewegt, und die Schneeflocken als Luftblasen. Ein technischer Trick – die Aufnahme wird rückwärts abgespielt – sorgt dafür, dass die Blasen nicht nach oben steigen, sondern fallen. Der trügerische Schneeeffekt stellt das Gesehene und damit unsere Wahrnehmung in Frage: Was sehen wir wirklich und welche Komponenten werden durch unser Gehirn ergänzt? Interpretieren wir manchmal eine Situation anders, als sie tatsächlich ist – etwa dann, wenn wir etwa Luftblasen im Wasser als Schnee identifizieren? Sehen wir alle das Gleiche? Vertraut und fremd zugleich, erinnern die Stimmungen in Alberts Œuvre an Momente, in denen Träumerei, Kontemplation oder Dämmerzustand die Grenzen zwischen Realität und Imagination verschwimmen lassen. Aus dieser Verbindung von Alltäglichem und Unerwartetem beziehen die Arbeiten ihre Spannung.

Dank der grosszügigen Schenkung der Künstlerin gelangte das Werk „Berg“ im Rahmen eines Ankaufs in die Sammlung. Der bisher kleine, hauseigene Bestand an Werken Alberts konnte so 2023 durch drei Neuzugänge – darunter das besprochene Werk – angemessen ergänzt werden.

Anouchka Panchard, 2024

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