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Rudolf Urech-Seon, Composition Nr. 9, 1955
Öl auf Leinwand, 100 x 85 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Jörg Müller

Das Gemälde „Composition Nr. 9“ entsteht 1955, vier Jahre vor dem Tod des damals bereits 79-jährigen Künstlers Rudolf Urech-Seon (1876–1959). Mit Öl auf Leinwand gemalt, ist das Bild ge-kennzeichnet durch die kompositionelle Verbindung der ab den 1930er-Jahren entwickelten geo-metrischen Formensprache Urech-Seons und freieren, organischen Elementen, welche ab den 1940er-Jahren in das Werk des Künstlers Einzug halten. Die Komposition des Gemäldes basiert auf zwei übereinander gestürzten, teilweise nur angedeuteten Dreiecken. Im Unterschied zu Darstel-lungen zwischen 1930 und 1945 umschliesst das nach oben weisende Dreieck und der zentral im oberen Drittel platzierte Kreis in der vorliegenden Komposition nicht mehr konkrete Landschafts-elemente, sondern werden als autonome Bildelemente eingesetzt.

Der Viertelkreis im rechten Bildmittelgrund scheint die Gesamtkomposition zu stabilisieren und das blaue Dreieck weiterzuführen. Das nach unten weisende, gelbe Dreieck wird gebrochen von einer geschwungenen Linie, welche an eine Gesichtssilhouette erinnert. Auffällig ist auch die Signatur, welche prominent in die Mitte am unteren Rand platziert ist. Zeitlebens von anderen Kunstschaf-fenden und Kritikern meist als „zu modern“ getadelt, löst der Künstler seine vorher futuristische Li-gatur zum Signieren der Bilder ab den 1930er-Jahren provokativ durch eine Unterschrift in der „veralteten“ Sütterlin-Schrift ab. Um sich vom gleichnamigen Grafiker Rudolf Urech (1888–1951) abzuheben, fügt er seinem Namen zudem bereits ab 1916 den Zusatz „-Seon“ hinzu.

Die späten 1940er-Jahre bringen trotz vorherrschender Negativkritik eine gewisse Anerkennung. Urech-Seon findet 1947 Aufnahme bei den „Zürcher Konkreten“ (Künstlergruppierung „Allianz“), mit welchen er gelegentlich auch ausstellen darf. Prominente Vertreter der Allianz- Camille Graeser (1892-1980), Richard Paul Lohse (1902-1988) oder Max Bill (1908-1994) – sind jedoch alle eine Generation jünger. Im Gegensatz zu vielen „Konkreten“ zieht Urech-Seon stets alle Linien von Hand (ohen Hilfsmittel wie eine Schablone), die Flächen sind mit dem Spachtel egalisiert und wir-ken daher vibrierend transparent. Der Künstler schreibt dazu: „Die geometrischen Formen sind dem Leben entnommen. Im Leben ist alles abgerundet, es gibt keine ganz scharfen Ecken, Kanten; der Hocharistokrat muss auch mit dem Arbeiter verkehren, entweder durch Beamte oder durch sonsti-ge Mittelstandspersonen.“

Die erwähnte Kompositionsstruktur, welche auf zwei Dreiecken basiert, nachvollziehen zu können, bietet sich ein Blick auf die frühe Schaffenszeit des Künstlers an: Während dem Studium an der Münchner Kunstakademie (1913–1916) kommt der Maler erstmals mit mathematischen Konstruk-tionsverfahren in Berührung. Sein Lehrer, Hermann Groeber (1865 –1935), lehrt seine den „Vil-lard’schen Teilungskanon“, ein frühgotisches Schema zur geometrisch exakten – in Form, Propor-tion und Ästhetik ausgewogenen – Teilung von rechteckigen Flächen. Zurück in der Schweiz, be-ginnt Urech-Seon, dieses Proportionsverfahren in seinen naturalistischen Landschaftsmalereien anzuwenden und erweitert das Konstruktionsprinzip um zwei Diagonalen, welche von den oberen Ecken zur Mitte führen. Dieses Konstruktionsprinzip, welches ab den 1930er-Jahren einen wichti-gen Platz in Urech-Seons Schaffen einnimmt, wird von ihm, wie auch „Composition No. 9“ zeigt, nicht immer mit derselben Strenge angewendet.

Christian Herren

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