Polystyrol, Fiberglas, Harz, Acrylfarbe / Styrofoam, fibreglass, resin, acrylic paint, 171.7 x 103 x 16.5 cm
Mit zwei Mofas der Marke Ciao, Kultobjekten jugendlicher Freiheit, machte Valentin Carron (*1977) im Herbst 2012 für die Ausstellung „La jeunesse est un art“ erstmals in Aarau Halt. Der Beitrag, der auf den vielbeachteten Auftritt an der Biennale von Venedig 2013 vorauswies, darf als typisch gelten für die appropriative Werkpraxis des in Martigny aufgewachsenen Wallisers, der seine Motive bevorzugt einem persönlich erkundeten heimatlichen Radius entnimmt und sie in kritischer Distanzierung – als Nachbau oder pointierte Replik – in den White Cube überführt. Neben die anfänglich eng lokalen und vernakulären Bezüge sind dabei zusehends Sondierungen im Resonanzraum von Avantgarde, Tradition und kommerzialisiertem Klischee getreten. Diese wiederum werden vom Künstler, wie sein Umgang mit Magneten des Kulturtourismus zeigt, immer wieder klug mit Themen wie regionaler und nationaler Identitätsbildung, Wertewandel sowie allgemein mit Fragen zum Kulturtransfer und zum Kunstsystem verknüpft.
Mit dem Kreuz als einem im katholischen Wallis omnipräsenten Symbol und zugleich einer der ältesten „Plastiken“ im öffentlichen Raum hat Valentin Carron sich auf ein Feld vorgewagt, das dieses Agieren zwischen unterschiedlichen Wertvorstellungen exemplarisch erlaubt. Angeregt von Grabkreuzen und weithin sichtbaren Turmkreuzen wie jenem der wuchtigen, von Walter M. Förderer im brutalistischen Stil erbauten Betonkirche in Hérémence, hat er sich seit 2003 wiederholt mit diesem abendländischen Urzeichen befasst – bis hin zu der 12 Meter hohen Version, die 2009 während der Art|Basel auf dem Messeplatz stand. „Du silence frais et sonore“ gehört, auf menschliches Mass gebracht, zu einer Reihe von acht Wandkreuzen, die 2008 für die Ausstellung „Luisant de sueur et de brillantine“ in Mailand entstanden und die allein in der Farbgebung differieren. Das erworbene Exemplar, mit dem Valentin Carron nun erstmals auch fest in der Sammlung vertreten ist, präsentiert sich wie die Mehrzahl der Varianten frontseitig schwarz. Die Seiten und Enden sind in leuchtendem Blau „gefasst“, das in der christlichen Ikonografie auf Maria verweist, hier mit Blick auf die formalistische Kunst vom Suprematismus bis zur Minimal Art aber Austauschbarkeit signalisiert. Von einer „Farbfassung“ im kunsttechnologischen Sinn kann zudem keine Rede sein, da es sich nicht, wie suggeriert, um ein verwittertes polychromes Holzkreuz handelt, sondern um ein nicht-auratisches serielles Surrogat. Gleichwohl spielt der grobe Duktus des Farbauftrags mit der Malerei und interpretiert sie, mitsamt Maserung, in Pop-Art-Manier skulptural. In reinem Schwarz hat Carron diesen Effekt schon bei anderen vermeintlich aus Holz gefertigten Werken genutzt und damit innere Bilder von Glut und Zerstörung geweckt. In einer Welt, in der Glaubensfragen nach wie vor Dissens erzeugen, liest sich das Kreuz daher jäh auch als hintersinniger Kommentar zur westlichen Gesellschaft, die noch immer allzu oft nur christliche Werte anerkennt, während sie selbst immerzu neue, säkulare Ersatzkulte prägt, darunter auch die Kunst.
Astrid Näff