Öl auf Leinwand, 55 x 38 cm
Cuno Amiet (1868–1961) gehört zusammen mit Ferdinand Hodler (1853–1918) und Giovanni Giacometti (1868–1933) zu den Wegbereitern der Schweizer Moderne. In München, wo Amiet an der Akademie studiert, lernt er den gleichaltrigen Giovanni Giacometti kennen, mit dem ihn bis zu dessen Tod 1933 eine enge Freundschaft verbindet. Beim gemeinsamen Besuch der Internationalen Kunstausstellung 1888 in München beeindruckt die französische Malerei die beiden Schweizer so stark, dass sie noch im gleichen Jahr nach Paris übersiedeln. Dort teilen sie Wohnung und Atelier, bis sie 1891 aus finanziellen Gründen in die Schweiz zurückkehren. Bereits ein Jahr später reist Amiet wieder nach Frankreich. Der einjährige Aufenthalt in Pont-Aven in der Bretagne ist für seine künstlerische Entwicklung entscheidend: Im Austausch mit den dortigen Malerkollegen setzt sich Amiet mit Paul Gauguin (1848–1903), aber auch mit der Malerei des bereits verstorbenen Vincent van Gogh (1853–1890) auseinander. Er lässt die Tonmalerei hinter sich und findet zur befreiten Farbe und damit zu einer eigenständigen künstlerischen Bildsprache, die sein Werk fortan prägen wird.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz lernt Amiet Hodler kennen und wendet sich unter dessen Einfluss symbolistischen Themen zu. Auch formal ist in den Bildern aus dieser Zeit Hodlers bestimmender Einfluss sichtbar. Erst 1904 kann sich Amiet vom übermächtigen Vorbild lösen, und es gelingt ihm in der Folge, an die in Frankreich verheissungsvoll eingeleitete Entwicklung zu einer freien und autonomen Malerei anzuknüpfen. Die neuen Bilder kann er u.a. in Dresden ausstellen, wo sie die jungen „Brücke“-Künstler Erich Heckel (1883–1970), Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) so begeistern, dass diese ihn zum Beitritt in ihre soeben gegründete Künstlervereinigung auffordern. In der Folge wird sich Amiet an mehreren gemeinsamen Ausstellungen beteiligen. Durch die direkten Kontakte zur französischen Moderne und zum frühen deutschen Expressionismus kommt dem Schweizer die Stellung eines Vermittlers zwischen den fortschrittlichsten Positionen der jungen Moderne zu.
In sich gekehrt und mit geschlossenen Augen ruht im Gemälde „Frauenbildnis“ von Amiet eine weibliche Figur in Dreiviertelansicht vor einem zweigeteilten Hintergrund. Die flächigen, sich voneinander abhebenden Bildelemente sind durch breite Pinselstriche in kontrastierenden Farben strukturiert. Lediglich die vagen Gesichtszüge hat der Künstler mit Lasuren in blassen Blau- und Hauttönen moduliert. Die mädchenhaft wirkende Figur weist kaum individuelle Züge auf. Ihre innere Ruhe steht dynamischen Farbakzenten und aufstrebenden grünen Linien gegenüber, die wie Baumkronen im Wind anmuten.
Online gestellt: 2018