C-Print auf Papier, 37 x 50 cm
Gleissend steht die Sonne über einer hügeligen Landschaft am Himmel. Ihr Stand ist eher niedrig, jener der Fotografen Taiyo Onorato (*1979) und Nico Krebs (*1979) etwas erhöht. So resultiert eine harte Gegenlichtsituation und überdies eine, in welcher der Horizont genau die Bildmitte markiert – beides unter Verfechtern der „guten Fotografie“ ein Sakrileg. Dafür erhalten die Sonne und das mit Hilfe von Filterfolien noch verstärkte Phänomen der Überstrahlung viel Raum. Entsprechend differenziert sind die Lichteffekte lesbar, die die Aufnahme durchziehen: die exakt in der Mittelachse explodierende Sonne, das Halo, der Dunststreifen über der Ebene, das Filament der Hochspannungsleitungen, der Glanz der Masten und die Lichtsäume des Terrains.
Diese Ballung natürlicher und elektrischer Energie ist jedoch nur die eine, die lichtdurchflutete Seite der ausgefallenen Szenerie. Noch kurioser mutet der Vordergrund an, der von einer im Bau befindlichen Trasse samt Zufahrten, Unter- und Überführungen durchschnitten wird. Die Aufschüttung, die an die Earth Works der Land Art erinnert, beschreibt eine sanfte Kurve, geht dann in eine Kunstbaute über und bricht bei einem markanten Bauwerk an einer Geländekante ab. Wie gross der landschaftliche Eingriff ist, bleibt mangels verlässlicher Vergleichsobjekte unklar. Allein die Siedlung, die in der Ferne am Fuss der nächsten Hügelkette auszumachen ist, lässt etwas von den Distanzen und somit von den immensen Proportionen erahnen.
Eingefangen haben die beiden Künstler, die sich 2003 an der Zürcher Hochschule der Künste zu einem Duo mit geteilter Affinität zur analogen Fotografie zusammengetan haben, die Szene im Rahmen ihres USA-Projekts „The Great Unreal“ (2005–2009), einem Road-Trip quer durch die Vereinigten Staaten. Dieser hat sie auch zum berühmten Hoover Dam geführt, über dessen Mauerkrone damals noch aller Verkehr zwischen Arizona und Nevada verlief. Unweit der gigantischen Talsperre und der kühnen, 2010 eröffneten Entlastungsbrücke über den Colorado River haben sie in einer Haltebucht der einstigen Hauptader und heutigen Hover Dam Access Road gestoppt und ihre Kamera auf den Westanschluss des Hover Dam Bypass gerichtet. Der Werktitel „Hoover Sun“ leitet folglich nicht in die Irre: Was wir sehen, ist der Unterbau des bald vierspurigen Highway 93 an der Gabelung zur Interstate 11 bei der Hover Dam Lodge in der Nachmittagssonne.
„Hoover Sun“ gehört somit zur Gruppe der Bilder aus „The Great Unreal“, die Taiyo Onorato und Nico Krebs aus einer mehr oder weniger dokumentarischen Haltung heraus aufgenommen haben. Fotohistorisch knüpfen sie damit im US-Kontext an jene lange Tradition an, die im Zuge der steten Ausweitung der Last Frontier nach Westen bei den Survey Photographers des 19. Jahrhunderts einsetzt und über Robert Franks wegweisenden Fotoband „The Americans“ zu den New Topographers der 1970er Jahre führt. Als Gegenmodell fungieren in „The Great Unreal“ Szenerien, bei denen die Künstler als Bricoleure agierten und zum Beispiel Strassenmodelle aus Karton so vor die Linse hielten, dass sie sich perspektivisch plausibel in die Landschaft integrierten. Ihre Beobachtungsgabe und ihren Aussenblick nutzend, sezieren die beiden so zum einen die Klischees einer hochgradig medialisierten Welt. Zum andern hintertreiben sie die Objektivität ihres eigenen Mediums, machen dessen Bruchlinien sichtbar und kratzen mit ihren kecken Eingriffen an der strengen Trennung in inszenierende und nichtinszenierende Fotografie. Verbindendes Element der beiden Bildgruppen ist die skulpturale Anmutung aller Motive und natürlich die im Projekttitel proklamierte Skepsis gegenüber jeglicher Repräsentation von Realität. Wie lustvoll die Künstler ihre Kritik betreiben, zeigt sich dabei immer wieder, so auch hier, wo die Pointe darin liegt, dass alles real ist und dennoch wirkt wie ein Fake.
Astrid Näff