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Max Matter, Inseits, 2010
Stempeltinte in Japanpapier, je (noch messen)
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Roberto Medici
Copyright: Max Matter
Fotocredit: Alexandra Roth

Eine „kristalline, materialimmanente Ideenschönheit, die durchs Regelgitter der Methodik zur Bildfläche hochsteigt“ charakterisiere, so der Aargauer Schriftsteller Michel Mettler, die Kunst von Max Matter. Treffend ist damit auf zwei Grundzüge der Werke verwiesen, die entstanden sind, seit sich der Künstler vor rund vier Jahrzehnten in einer überraschenden Volte seiner introspektiven, körperorientierten Bildforschung zugewandt hat: ihre betörende Ornamentik und die empirisch registrierende Haltung Matters respektive seine Akzeptanz einer Eigendynamik der Dinge innerhalb des von ihm angestossenen Werkprozesses.

Die Arbeit „Inseits“, die das Aargauer Kunsthaus vom Solothurner Kunstraumbetreiber Roberto Medici entgegennehmen durfte und mit der sich eine wichtige Lücke in der bereits respektablen Werkgruppe des Künstlers schliesst, führt diese beiden Aspekte beispielhaft vor Augen. Wie die oft meterlangen Arbeiten aus Seidenpapier, in denen Matter ab 1996 in die Ballen eingeimpfte bunte Tinkturen ausblühen liess, ist sie durch Einsickern von Farbe in zwei Bahnen mehrfach gefaltetes Japanpapier entstanden. Im Unterschied zur Serie der Injektionen ist das Einbringen der Farbe hier aber nicht mehr durch einen punktuellen Einstich erfolgt. Vielmehr hat Matter den pathologisch konnotierten Gebrauch von Spritzen durch den Griff zur Füllfeder ersetzt und die Farbe mit diesem anachronistisch gewordenen Utensil in elegant geschwungenen Linien von aussen nach innen diffundieren lassen. Damit ist nicht nur das Gesamtbild zeichnerischer geworden; auch das weite Feld der Assoziationen, das bei der Vorgängergruppe – nachzublättern im dritten Band der „Matterialien“ – quer durch die Kunst- und Kulturgeschichte reichte, ist einer weniger körperlichen, dafür umso stärker prozessualen, sich unentwegt aus sich selbst heraus fortschreibenden Werkidee gewichen.
Bei „Inseits“ war dies von der Beobachtung begleitet, dass die sehr langsam trocknende Tinte im dünnen Papier in einem „inseits“ ablaufenden lebendigen Mikroprozess nicht nur vor, sondern auch nach dem Entfalten noch wochenlang weiterwanderte. Entlang der Linien, die mehr Farbe absorbiert hatten, schlossen die anfangs noch klar differenzierten Strukturen sich im Verlauf dieses Ausblutens zusammen; andernorts blieben sie gewahrt. Als Erkenntnis, „insight“, lässt sich somit formulieren, dass Art und Anzahl der Faltungen wie auch Ort und Menge der Farbimpfung sich zwar zu einem gewissen Grad steuern lassen, das Ergebnis am Ende aber doch Unwägbarkeiten unterliegt.

Aus dieser Vielfalt und Offenheit der Möglichkeiten bezieht schliesslich auch die Falte ihren Sinn. Bereits in ihrer einfachsten Form kann sie als Versuch gelten, die Gleichzeitigkeit von Disparatem – etwa eines Innen und Aussen – und somit das Ambivalente zu denken. Legt sich Falte auf Falte, potenzieren sich die Möglichkeiten, was Matters Methode der mehrschichtigen Durchdringung mit ihrer Kartographie des Abfärbens im geöffneten Zustand des Bogens anschaulich beschreibt. Und da die Tinte im Innern der Papierschicht liegt, Farbe und Bildträger also buchstäblich eins sind, kommt ihre Einschreibung in die Fläche nach dem Entfalten recto und verso nicht segmentiert daher, sondern beidseits identisch, wenn auch seitenverkehrt. Diese Doppelansichtigkeit und ihre Folgen für die Präsentation sind von Matter – etwa mit „Persische Rosen“ (1997) oder den Leuchtkästen – schon wiederholt thematisiert worden, und auch hier scheint der Aspekt in den zwei Bahnen, aus denen das Bildquadrat besteht, nochmals auf. So lässt nämlich die Mittelfuge zusammen mit der feinen Versetzung am oberen Bildrand und dem Fehlen einer Gesamtsymmetrie erahnen, dass die Anordnung nach den Regeln der Kombinatorik potentiell auch anders hätte erfolgen können.

Astrid Näff

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