Öl auf Plexiglas, 81 x 100 x 6 cm
Karl Jakob Wegmann (1928–1997) wächst im Glarnerland in einer kunstaffinen Umgebung auf. Er absolviert eine Lehre als Buch- und Textildrucker und zieht dann nach Zürich. Den von vielen seiner Altersgenossen verspürten Wunsch, sofort nach dem Krieg ins Ausland, insbesondere nach Paris, zu gehen, teilt er nie. Dennoch findet er rasch zu einem virulenten malerischen Ausdruck und weckt damit die Aufmerksamkeit der Kritik. Seine Bekanntheit verdankt er namentlich dem Kulturredaktor Manuel Gasser (1909–1979), der ihn im „Du“-Heft vom August 1959 unter dem haften gebliebenen Etikett „dark horses“ als eines der dreissig hoffnungsvollsten Schweizer Jungtalente vorstellt. Auch liefern das „Du“ sowie allgemein die Lektüre dem jungen Maler die letztlich wichtigeren Impulse als die Zürcher Kunstgewerbeschule, die er ab 1947 besucht, 1949 mit dem lapidaren Vermerk „toter Punkt“ aber bereits wieder verlässt. In der Folge entstehen zunächst expressive Landschaften. Schnell jedoch erlangen Farbe und Form gegenüber Haus, Vogel und Baum als letzten Kürzeln der Aussenwelt immer mehr Autonomie, bis schliesslich Ende der 1960er-Jahre alle gegenständlichen Reminiszenzen getilgt sind.
Das Spezifische an Wegmanns Malerei liegt ab diesem Moment in ihrer doppelten Andersartigkeit: Sowohl vom schweizerischen, vor allem zürcherischen Kontext der konstruktiv-konkreten Kunst und ihren lyrischen Spielformen als auch von der amerikanischen Nachkriegskunst und den europäischen Zeitströmungen, dem französischen Informel und dem Tachismus, grenzt sie sich ab. Sie ist einerseits subjektiver und malerischer, obgleich Kreis- und Rautenformen gelegentlich auftreten, andererseits bedächtiger und weniger gestisch oder gar aktionistisch geprägt. Vielmehr eignet ihr eine stille, ja geradezu unermessliche „kosmische“ Tiefe, die oft selbst dann wirksam bleibt, wenn das nuancenreiche Blau – der farbliche Hauptklang sämtlicher Schaffensphasen – zum Umraum leuchtender Farbenspektakel wird. Der Schriftsteller Paul Nizon (*1929), der mit Wegmann befreundet ist und ihm erstmals 1971 in „Swiss made“ einen längeren Text widmet, spricht treffend von „Blaugeburten“, von „Planchton-Wesen“ oder auch „Irrlichtkörpern“, die um 1968 in einen „Prozess der Verlandung“ eintreten, um schliesslich „polyaktive, energetische Farbräume“ zu bilden. Auch hebt er die forschende, gleichsam alchemistische Natur von Wegmanns Bildern hervor, die unter anderem aus dem empirischen, stofflich-sinnlichen Umgang mit den Pigmenten und der hoch konzentrierten, oft in die Nachtstunden verlegten Malpraxis resultiert. Auch die Bildträger werden zu Beginn der 1970er-Jahre neuerlich Teil dieser suchenden Haltung: Neben Leinwand und Hartfaser treten transparente Materialien, die Wegmann wahlweise von vorn, hinten oder beidseitig bemalt. In diesen Werken, zu denen auch die vorliegende „Komposition“ gehört, findet die Entgrenzung des Bildes, wie Wegmann sie von 1961 bis 1967 bereits mit „Kugelbildern“ erprobt, ihre stimmige Fortsetzung. Er selber spricht in Bezug auf diese leinwandbestückten Aluminium- und Kartonkugeln von „unendlicher Bildfläche“. Er betont ihre Entmaterialisierung infolge der Bemalung und sieht sie als „imaginären [d.h. vom Künstler geschaffenen] Raum als Mittler zwischen Kern und Kosmos“. Nicht überliefert ist, inwieweit die gewiss auch von Wegmann verinnerlichten Bilder der NASA-Programme diese Werkgruppe mitprägen. In seinem künstlerischen Idiom der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre finden sie jedenfalls eine kongeniale Entsprechung, und genau dieses reizvolle, hinsichtlich der eingesetzten Mittel sehr bewusste Wechselspiel zwischen der Auflösung des Objekts und dem momenthaften Koagulieren der Farben – Nizons Verlandung – macht auch den Charakter des Aarauer Werks auf Plexiglas aus.
Astrid Näff, 2018