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Didier Rittener, Les pommiers ou indécente forêt, 2014 - 2016
Bleistift auf Papier (Claire Fontaine), 180.8 x 390 cm ok
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Didier Rittener

Didier Rittener (*1969) ist vor allem für sein konzeptuelles zeichnerisches OEuvre bekannt. Früh beginnt der Lausanner Künstler, der dort an der ECAL auch studiert hat, Motive aus der Kunstgeschichte und diversen anderen Domänen zu appropriieren. Bevorzugt tut er dies im Medium der Handzeichnung, wobei ihn aber die Virtuosität seiner Blätter als Qualitätskriterium nicht interessiert. Oft arbeitet er daher auch installativ oder schafft Hybride, etwa mit Hilfe von Projektionen oder Fotokopien, deren Bildschicht er unter Einsatz von Chemie auf andere Flächen transferiert. Befragt wird einerseits der Status des Bildes gegenüber der längst medial aufgelösten Realität. Andererseits geht es um die Funktion und Gestaltung des Bildraums, was besonders bei einer 2003 entstandenen Folge berühmter älterer Werke sichtbar wird, aus denen der Künstler beim Akt der Aneignung alle Figuren weggelassen und so den Blick auf den Umraum umgelenkt hat.

Diese Mischpraxis aus Appropriieren, Isolieren und Kompilieren bestimmt auch die monumentale Graphitzeichnung „Les pommiers ou indécente forêt“ (2014 – 2016). Frei von äusseren Zwängen hat Rittener auf dem fast vier Meter breiten Panoramaformat über rund zwei Jahre hinweg eine minutiös ausgearbeitete Waldlandschaft angelegt. Als Vorlagen dienten ihm Werke der Kunstgeschichte, die alle das abendländisch-christliche Urthema des Sündenfalls illustrieren. Um das grosse Format etwas zu gliedern, setzte Rittener dabei zuerst den Baumstamm rechts der Bildmitte aufs Papier. Entliehen ist dieser Albrecht Dürers Kupferstich Adam und Eva (1504) und analog zum Original halbiert er das Blatt in ganzer Höhe. Beidseits davon fanden daraufhin weitere markante Darstellungen des Baums der Erkenntnis ihren Platz, und schliesslich verdichtete Rittener seinen Garten Eden nach und nach mit kleineren Funden. Mensch und Tier liess er konsequent weg und schuf so ein Waldstück, das paradoxerweise nicht nur paradiesisch, sprich vorkulturell rein ist, sondern gleichzeitig vollumfänglich aus bedeutenden kulturellen Erzeugnissen besteht. Die diachrone Motivsammlung beinhaltet Beispiele von 1440 bis ins frühe 20. Jahrhundert, und entsprechend vielfältig sind auch die Stile, Techniken und individuellen Erfindungen. Der Umstand, dass alles mit Bleistift ausgeführt ist, lässt dies allerdings erst auf den zweiten Blick erkennen.

Erstmals zu sehen war das Werk im Herbst 2018 im Musée Jenisch in Vevey, wo es wie ein Andachtsbild inszeniert war und ein Echo im Büchlein Rewind von Federica Martini fand, einer Erzählung rund um die pomologische Modellsammlung des Museo della frutta Francesco Garnier Valletti in Turin. Mit dem Ankauf des Blattes aus der Ausstellung Big Picture erfüllt sich der Wunsch, Didier Rittener dauerhaft im Kunsthaus vertreten zu wissen und dies mit einem Werk, das sich angesichts der hochaktuellen Debatte um die Verantwortung gegenüber der Natur auch als kunsthistorischer Abriss auf die Urform menschlicher Hybris lesen lässt.

Astrid Näff

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