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Ilse Weber, Nachtcapriccio, 1981
Bleistift und Gouache auf Papier, 31 x 46 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Marie-Louise Lienhard, Nussbaumen (TG)
Fotocredit: Jörg Müller

Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses beherbergt um die fünfzig Werke der Aargauer Künstlerin Ilse Weber (1908–1984), darunter Arbeiten auf Papier und auf Leinwand. Weber ist in der schweizerischen Kunstgeschichte eine Einzelfigur, die aber zu einer wichtigen Integrationsfigur wird für eine ganze Generation von Aargauer Künstlerinnen und Künstler, insbesondere für die Kunstschaffenden der Ateliergemeinschaft am Ziegelrain in Aarau: Heiner Kielholz (*1942), Christian Rothacher (1944–2007), Hugo Suter (1943–2013), Josef Herzog (1939–1998), Max Matter (*1941) und andere prägen ihrerseits die Schweizer Kunst in den 1970er-Jahren entscheidend.

Den Entschluss, Künstlerin zu werden, fasst Weber schon früh, und sie erhält mit 22 Jahren den ersten Malunterricht. Anschliessend besucht sie in Paris die Malschule von Othon Friesz (1879–1949) und unternimmt eine Reise nach Rom, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, den Genfer Maler Hubert Weber (1908–1944), kennenlernt. 1944, drei Jahre nach der Geburt einer Tochter, stirbt ihr Gatte. Weber wendet sich ganz der Malerei zu und führt ein Leben als Berufsmalerin, was damals für eine Frau bemerkenswert ist. Mit öffentlichen Wandbildern sichert sie sich den Lebensunterhalt, und ihre kunstfertig gemachte, konventionelle Malerei – Stillleben, Landschaften, Interieurs mit ihrer Tochter – wird von der offiziellen konservativen Kunstkritik anerkannt. Parallel zu ihrer Auftragsarbeit durchläuft Weber einen künstlerischen Prozess, und um 1960 vollzieht sich ein Wandel in ihrem Schaffen. „Ich möchte etwas malen, was ich noch nie gesehen habe“, lautet ein damals oft von ihr wiederholter Satz, der ihr, einem Leitspruch gleich, den Weg einer künstlerischen Eigenständigkeit und einer eigenwilligen Bildsprache weist.
Das vorliegende Blatt zeigt ein schalenförmiges, an eine Muschel erinnerndes Objekt auf beigefarbenem Untergrund. Das Gebilde ist mit Wasser gefüllt, das aus fünf nebeneinander gesetzten Öffnungen abfliesst und sich über einen darunter liegenden Kamm ergiesst. Im Mittelgrund zeichnet sich eine feine blaue Linie ab, über der sich der dunkel gehaltene Hintergrund erhebt.

Mit dem Titel „Nachtcapriccio“ scheint Weber auf ihre erlangte künstlerische Eigenwilligkeit anzuspielen, umschreibt der von Giorgio Vasari (1511–1574) in die Kunstgeschichte eingeführte Begriff Capriccio (italienisch: Laune) doch die bewusste, spielerische Überschreitung akademischer Normen.
Obwohl Weber aktiv am künstlerischen Leben teilnimmt und Mitglied der aargauischen und zürcherischen Künstlergesellschaften ist, folgen grössere Aufträge und die breite Anerkennung erst spät. Ihrem Frühwerk ist zwar regionaler Erfolg beschieden, findet aber in der einschlägigen Literatur kaum Berücksichtigung. Erst nach ihrem Wandel, mit dem sie den Fokus auf ihre innere Bildwelt richtet, wird sie von der Kunstkritik bemerkt und ab 1970 zunehmend beachtet. Sie erlangt eine bedeutende Stellung in der jüngeren Schweizer Kunst und wird an Ausstellungen gezeigt. Ihr Schaffen erregt die Aufmerksamkeit der nachfolgenden Künstlergeneration und erfährt deren Wertschätzung. Weber wird als frühe bedeutende Protagonistin des schweizerischen Regionalismus angesehen. Das hierzulande stark verbreitete Phänomen bezeichnet der Kunsthistoriker Max Wechsler (1984) als „erste schweizerische Kunstemanzipation“. Er beschreibt damit eine künstlerische Bewegung zwischen 1970 und 1980, in der sich Kunstschaffende von der Imitation internationaler Stile lösen und sich mit den eigenen Bedingungen, mit der eigenen Person sowie der eigenen Kultur auseinandersetzen.

Karoliina Elmer

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