Acryl auf Leinwand, 244 x 156 x 10 cm
Ab 1984 malte die deutsche Künstlerin Anne Loch (1946 – 2014) menschenleere Bilder von Blumen, Bergen, Wäldern, Rehen und Hirschen. Ihre Werke wurden in den 1980er-Jahren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. 1988 wandte sie sich vom Kunstbetrieb ab und zog nach Graubünden, wo sie mehrere Jahre sehr bescheiden und ohne Kontakte zur Kunstszene lebte und arbeitete. Im Stillen schuf sie ein umfangreiches OEuvre, das mehr als 1400 Werke umfasst. Darunter sind zahlreiche grossformatige Acrylmalereien, Papierarbeiten und Fotografien.
Im Acrylbild „Ohne Titel“ (AL 1422) (2010) hielt die Künstlerin in dunkelviolett-schwarzen Tönen auf leicht vorgrundierter, weisser Leinwand eine schlichte Margerite fest. Mit reduzierten Pinselstrichen malte sie das formatfüllende Motiv in monumentaler Grösse. Dadurch erzeugte sie eine künstliche Wirkung: Die überdimensionierte Pflanzendarstellung ohne Lichteffekte und Schattierungen wirkt wie eine Illusion.
Lochs Werke bedienen keinen platten Realismus, sondern changieren gekonnt zwischen Vertrautheit und Verfremdung, zwischen Schönheit und Abgrund. Sie fallen aus allen Zusammenhängen und fordern deshalb ungewohnte Betrachtungsweisen. Nicht anhand der einzelnen Sujets, sondern in der Art und Weise der Darstellung wird Lochs künstlerische Haltung sichtbar. In ihrem Umgang mit den Motiven zeigt sich ihre Sicht der Dinge. Anne Loch, die ihre Gedanken auch schriftlich festhielt, beschrieb ihre Arbeitsweise folgendermassen: „Ich mache mir kein Bild von der Welt, ich suche das Bild, das zwischen mir und der Welt sich befindet. Da wo es keine Projektionen gibt. Das Bild, das an der einen Hand die Welt führt und an der anderen mich.“
Charakteristisch für Lochs künstlerisches Schaffen ist ihr genau registrierender Blick, der alles wahrnehmen und beobachten will, um das Gesehene in der Malerei wiederzugeben. Wie die vielen Fotografien aus ihrem Nachlass bezeugen, war Loch stets mit der Kamera unterwegs. Ihre gemalten Bilder entstanden aber nicht vor Ort als Abbildungen der Welt, sondern wuchsen auf der Malfläche aus einer individuellen Vorstellung und Verinnerlichung einzelner Naturelemente heraus. Bei der Betrachtung ihrer Werke konfrontiert uns Loch mit der Frage: Was und insbesondere wie sehen wir?
Das Zeichnerische ist von Anfang an in Lochs Malerei zu finden und wird ab Ende der 1990er-Jahre bis zu ihrem Tod 2014 immer stärker. Im Spätwerk, wozu das besprochene Werk gehört, beschränkt sich die Künstlerin auf dunkle Silhouetten von Blüten vor weissem Grund und kommt somit zu einer absoluten Reduktion. Der beinahe vollständige Verzicht auf Farbe fällt mit einer formalen Vereinfachung zusammen und wird durch Konzentration ersetzt. Diese Direktheit und Verdichtung der Mittel bringt Lochs Malerei trotz der übergrossen Leinwände immer näher zur Zeichnung. Das Verhältnis zwischen den beiden Gattungen ist bei Loch von zentraler Bedeutung: In ihrer Malerei ist immer auch die Zeichnung enthalten.
Anouchka Panchard, 2020