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Jean Tinguely, Ohne Titel. Aus der Serie: Geschweisste Skulptur (Bascule), 1968
Eisenplatte, Metallbefestigungen, Elektromotor, schwarz bemalt / Iron plate, metal fixings, electric motor, painted black, 102 x 47 x 29 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: ProLitteris, Zürich

Nach einer Lehre als Dekorateur besucht Jean Tinguely (1925–1991) die Kunstgewerbeschule in Basel. 1953 zieht er zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Eva Aeppli (1925–2015), nach Paris. Dort erschafft er seine ersten kinetischen Konstruktionen, die er in der Galerie Arnaud an einer Einzelausstellung (1954) präsentiert. Er schliesst Freundschaft mit dem schwedischen Kunsthistoriker Pontus Hulten (1924–2006), der ihn und seine künstlerische Karriere ein Leben lang begleiten wird. Tinguely nimmt an der Ausstellung „Le Mouvement“ (1955) in der Galerie Denis René teil, worauf seine ersten Klangreliefs entstehen. 1958 folgt eine enge Zusammenarbeit mit Yves Klein (1928–1962). Tinguely baut die Zeichenmaschinen „Métamatics“, eine Serie, die er 1960 mit einem Happening in London beschliesst. Im selben Jahr sprengt sich seine Maschine „Homage à New York“ anlässlich ihrer Einweihung im MoMA in New York selbst in die Luft. Zusammen mit Pierre Restany (1930–2003), Arman (1928–2005), Yves Klein, Daniel Spoerri (*1930) u. a. gründet Tinguely 1960 die Künstlergruppe „Nouveaux Réalistes“, in deren Umkreis auch seine Lebensgefährtin und spätere zweite Ehefrau Niki de Saint Phalle (1930–2002) tätig sein wird. In der Folge initiiert Tinguely weltweit Gemeinschaftsprojekte und ist in zahlreichen Ausstellungen vertreten. 1964 realisiert er seine erste Grossplastik: „Heureka“. Ursprünglich für die „Expo 64“ entstanden, steht sie heute am Zürichhorn. Tinguely werden bereits zu Lebzeiten mehrere Retrospektiven gewidmet, etwa 1982 im Kunsthaus Zürich und 1987 im Palazzo Grassi in Venedig.

Bewegung kennzeichnet sowohl das Werk wie auch das Leben von Tinguely. Sein Naturell lässt ihn nicht stillstehen, ständig ist er unterwegs, engagiert und an der Arbeit. In seinen Plastiken geht es um Bewegungsabläufe und deren technische wie ästhetische Realisation. Dieses Leitmotiv prägt sowohl Tinguelys kleinere Formate als auch die Grossplastiken. Seine Werke, die er oftmals publikumswirksam inszeniert, sind spielerische, „verrückte“
Erfindungen, aber auch das Resultat sorgfältiger Ingenieursarbeit. Ein weiterer Gegensatz zieht sich gemäss Tobia Bezzola durch sein gesamtes Œuvre – es sei „durchzogen von einem Ringen zwischen einem eher klassischen, geometrisch-abstrakten Formwillen und einem dadaistisch-barocken Überschwang.“

„Ohne Titel“ (1968) gehört zur Serie der „Bascules“ („Wippen“), einer Werkgruppe von schwarz bemalten, geschweissten Skulpturen, die aus „objets trouvés“ zusammengesetzt sind. Im Vergleich zu den bereits Anfang der 1960er-Jahren entstandenen „Balubas“, die Tinguely aus den unterschiedlichsten Materialien wie Eisendraht, Gummibänder bis hin zu Federn oder Pelzteilen fertigte und auf rostigen Ölfässern oder Holzsockeln montierte, wirken die „Bascules“ beinahe wie Skulpturen im klassischen Sinn. Durch die schwarze Bemalung wird die Diversität der Einzelteile wenn nicht komplett eliminiert, so doch stark reduziert. Während die filigranen Elemente der „Balubas“, angetrieben durch einen Motor, verspielt schwingen, steht bei den „Bascules“ die rhythmische Binnenbewegung im Zentrum. Bei unserem Werk „Ohne Titel“ steht die Maschinenskulptur denn auch auf der namensgebenden Wippe – in Bewegung versetzt, versucht sie, die Balance auf dem kufenartig gebogenen Eisenstück zu halten und wird durch dieses Bemühen zu einem bizarren, weil sinnlosen Perpetuum mobile.

Bettina Mühlebach

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