Fotoprint auf Leinwand, 170 x 210 cm
Balthasar Burkhard (*1944), der zu den frühen Vertretern der Künstlerfotografie gehört, hat sich mit seinen Werken lange vor dem internationalen Erfolg dieser Richtung einen Namen gemacht. Seine schwarz-weissen, meist grossformatigen Fotografien sind bisher fast ausschliesslich im Bereich der bildenden Kunst rezipiert worden. Das hängt mit dem Werdegang des Künstlers zusammen, aber auch mit seiner Sicht der Welt und seinem Einsatz des Mediums Fotografie.
Nach der Lehre beim Berner Fotografen Kurt Blum (1922–2005), der selbst enge Beziehungen zur Kunstwelt pflegte, kam Balthasar Burkhard als Chronist und Dokumentalist der Kunsthalle Bern an der Seite von Harald Szeemann (1933–2005) in engen Kontakt mit Künstlern und Kuratoren, und seine eigene Arbeit wurde von Anfang an stark von diesem Umfeld beeinflusst. Eine erste freie Bildserie entstand 1969/1970 in Zusammenarbeit mit dem Künstlerfreund Markus Raetz (*1941): Die „Interieurs“ wurden auf weich fallende Fotoleinwände und im Grossformat realisiert. Beides war damals im Bereich der Fotografie ungewöhnlich. Die Serie brachte zum Ausdruck, dass Fragen der materiellen Präsenz des Bildes und seiner Installation im Raum gegenüber dem fotografierten Bildinhalt an Bedeutung gewinnen bzw. mit diesem interferieren. Daher bleibt auch jede Reproduktion der entsprechenden Werke ungenügend: Sie kann die Konfrontation von Werk und Betrachter, die man im Ausstellungsraum erlebt, nie ersetzen.
Das gilt ebenso für die Selbstbildnisse, die 1977 entstanden sind: Wieder sind es grosse Bildformate, wieder ist der Bildträger eine Fotoleinwand. Der Kopf füllt fast die ganze Bildfläche und besetzt in seiner monumentalen Grösse unser gesamtes Blickfeld. Balthasar Burkhard engt damit den Blick ein und führt uns ganz nahe ans Bild und an den Porträtierten heran. Eine ornamentale Tapete schliesst den Raum nach hinten ab und lässt das bis ins Detail scharf gezeichnete Porträt noch weiter nach vorne und durch die Frontalität in eine intensive und schonungslose Gegenwärtigkeit rücken. Und wir als Betrachter sind dem Blick aus dem Bild ausgesetzt, so dass wir in eine unausweichliche intime Begegnung involviert werden.
Balthasar Burkhard widersetzt sich der objektivierenden Sicht des Fotoapparates. Unser „Selbstbildnis“ stammt aus einer Serie von sechs beinahe identischen Porträts, die durch minimale Veränderungen der Kopfstellung, der Haare und des Blicks sowie feiner Zeichnungen von Licht und Schatten sehr individuell erscheinen: Ganz leicht verschieben sich die Fixpunkte der Wahrnehmung im Bereich der Augen, der Wangen und der Stirn. Das steigert in der Serie und im Einzelbild die Subjektivität des Ausdrucks. Balthasar Burkhard, der in diesen Jahren auch als Filmschauspieler arbeitet, weiss mit der suggestiven Kraft solcher Bilder umzugehen. Er operiert hier bewusst auch mit dem Bedeutungsunterschied von image (frz. für Bildnis, Ebenbild) und image (engl. auch für Vorstellung, Idee) und reflektiert solche Wahrnehmungsdifferenzen.
Die Selbstbildnisse wurden 1980 als Serie im Centre d’art contemporain in Genf ausgestellt. Sie sind durchaus noch geprägt von den Zeichen der Zeit, stehen im Werk von Balthasar Burkhard aber auch am Beginn seiner grossformatigen Fotos von menschlichen Körpern oder Teilen davon. Zwei Jahre nach diesen Porträts entstand 1979 das Portfolio Chicago (Balthasar Burkhard lebte damals längere Zeit in den USA). Die Kamera rückt hier noch näher und zeigt nur noch Ausschnitte und einzelne Partien von Gesicht und Kopf. Durch die Nahsicht und die damit zusammenhängende Monumentalisierung rückt das Selbstbildnis ins Allgemeine, fast Abstrakte. Spätestens damit setzt auch das unverkennbare Hauptwerk von Balthasar Burkhard ein.
Stephan Kunz