Kunstharzlack und Acryl auf Waben- und Hartfaserplatte, 331 x 200 x 34 cm
Mit ungewöhnlichen Objekten und Skulpturen, von denen er manchmal als „Antiplastiken“ spricht, bringt Ueli Berger (1937–2008) in den 1960er-Jahren in die Schweizer Kunstlandschaft frischen Wind. Der Fokus des Berner Künstlers, dessen Schaffen auch Architekturfragen und Möbeldesign berührt, liegt dabei innerhalb der pluralistisch gewordenen Avantgarde zunächst auf einer konstruktiv respektive strukturalistisch ausgerichteten Abstraktion. Diese wird aber bald so frei interpretiert, dass die Wand- und Bodenobjekte eine trompe-l’œil-artige Qualität erlangen. Wesentlichen Anteil daran hat die Farbe, und die Wirkung ist umso frischer und frecher, je kräftiger die Palette ausfällt, mit der Berger – Sohn eines Reklamemalers und selbst gelernter Flachmaler – die meist aus Verbundstoffen gebauten Gebilde überzieht.
Lässt die Machart der Werke in dieser Schaffensphase einerseits Parallelen zu den bunten Environments der Pop Art, andererseits zur Signalkunst und zum Hard Edge erkennen, so positioniert sich Berger mit ihnen inhaltlich bereits jenseits einer rein formalistischen Kunst. In Vorwegnahme seiner nächsten Werkgruppe der „Risse“ – Bruchstellen, die durch Steinblöcke, Böden oder, als Konzeptvorschlag, gar durch ganze Gebäude geführt werden – lässt er die Objekte abrutschen, zerfliessen, scheinbar zerbrechen oder feste Flächen wie Strassenbeläge oder Museumswände durchdringen. Mit den ebenso irritierenden wie überraschenden Plastiken – visuelle Frage- und Ausrufezeichen in einem – wird aber nicht nur die Statik und Unveränderlichkeit der Skulptur sowie der gesamte Moderne-Begriff zur Disposition gestellt. Auch eine Form von Institutions- und Gesellschaftskritik scheint formuliert, die zum einen der hermetischen Selbstbezogenheit der Kunst mit einem narrativen Moment, mit Witz und Lesbarkeit – kurz: dem Elitären mit Populärem – begegnen will, zum andern passend zum zeitgeschichtlichen Kontext jede Art von Verkrustung aufzubrechen sucht.
Zu diesen Werken gehört auch „Symptom II“ (1967), eine zweiteilige Plastik für zwei Räume, die gleichsam widerstandslos eine Wand durchstösst und dabei von einer mächtigen Kraft angetrieben scheint. Ihr rätselhafter Titel – Symptom wovon oder Ausdruck wofür? – erklärt sich aus dem erwähnten Zweifel am Etablierten. Er geht aber auch mit der Idee eines fremdartigen Organismus einher, denn den ersten Auftritt hat das sprechblasenartige Werk in der Ausstellung „Science Fiction“, die Harald Szeemann mit rekordhoher Publikumsresonanz im Spätsommer 1967 in der Kunsthalle Bern präsentiert. Wie alte Aufnahmen zeigen, ist die Plastik damals farblich noch anders gefasst: Die gerundeten, aufwendig aus formgepresstem Pavatex zusammengeleimten Schmalseiten sind hellblau gestrichen; die aus Wabenplatten mit dünner Pressspanauflage bestehenden Seitenflächen weisen von aussen nach innen die Farbfolge Hellgrün, Gelb und Silber auf. Diese futuristische, zweifelsohne dem Ausstellungsthema verpflichtete originale Fassung überarbeitet Berger allerdings bereits im darauffolgenden Jahr. Mit Blick auf seine erste institutionelle Einzelschau im Musée d’Art et d’Histoire in Fribourg 1968 übermalt er die silbrigen Partien sowie einen Teil des Gelbs am Fuss der Plastik mit intensivem Blau; die restlichen Bereiche inklusive der Schmalseiten fasst er in feurigem Rot zusammen. Der nunmehr einheitliche und etwas breitere Rand, der das Blau an der engsten Stelle komplett verdrängt, lässt die Plastik noch monumentaler wirken. Zudem rückt das Gesamtbild dank der Beschränkung auf zwei Farben näher an die anderen – monochromen – Arbeiten aus der Reihe der „Symptome“ heran. In dieser Fassung hat die Plastik sich erhalten und ist als Schenkung des Künstlers 2002 in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses gelangt.
Astrid Näff, 2019